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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10

mit schönem Garten, großen Sälen, Dioramen und prachtvollem Zirkus (Alberthalle). Auf der Querstraße befindet sich das großartige Etablissement des Buchhändlers Brockhaus. Ferner sind hervorragende Gebäude der Ostvorstadt: das Etablissement des Bibliographischen Instituts von Meyer (früher in Hildburghausen) am Gerichtsweg, das geschmackvolle Haus des Buchhändlers E. Keil, des Begründers der „Gartenlaube“, in der Thalstraße, das Paketpostamt und das neue Buchhändlerhaus in der Hospitalstraße. Im Johannisthal, einer 1832 auf dem Areal der ehemaligen Sandgrube geschaffenen großen Gartenanlage, die aber in neuester Zeit teilweise bebaut worden ist, erhebt sich seit 1861 die neue Sternwarte. Auf der Südseite des Johannisthals liegen das städtische Krankenhaus zu St. Jakob, das Taubstummeninstitut, die Augenheilanstalt und eine große Anzahl von Universitätsinstituten, wie die Anatomie, das physiologische, pathologische, pharmakologische, hygieinische, landwirtschaftliche, agrikulturchemische, physikalische, chemische, zoologische Institut, weiter hinaus nach SO. der botanische Garten, die Irrenanstalt und die Veterinärklinik.

Zur Verschönerung der Stadt, zur Verbesserung des Straßenpflasters und der Schleusen ist in jüngster Zeit viel geschehen. Von größern Arbeiten der letzten Jahre sind zu nennen: die Überbrückung des Elstermühlgrabens im Ranstädter Steinweg, die Niederlegung des Dammes zwischen der Pleißenburg und der Mühlgasse, die Anlage einer zweiten Gasanstalt und eines Schlachthofs im S. der Stadt, die Anlage einer neuen großartigen Wasserleitung aus den bei Naunhof gelegenen Wäldern. Die reichen Schenkungen, welche der Stadt in den letzten Jahren zugeflossen sind (Karl Tauchnitz, Grassi u. a.), ermöglichen der städtischen Verwaltung, für die weitere Verschönerung der Stadt zu sorgen.

[Bevölkerung.] Die Zahl der Einwohner von L. betrug 1676 gegen 20,000, 1776: 24,000, 1800: 32,146, 1864: 85,394, 1885: 170,342 Ortsanwesende, darunter 3373 aktive Militärs. Dazu kommt die Einwohnerschaft der wirtschaftlich längst zu L. gehörenden Grenzdörfer (62,446) und andrer Vorstadtdörfer (68,666) sowie der ebenfalls zur Einverleibung bestimmten Außendörfer (7827), so daß das wirtschaftliche L. schon jetzt mehr als 300,000 Einw. zählt. Dem Religionsbekenntnis nach zählte man 1885 in der eigentlichen Stadt 155,627 Lutheraner, 3844 Reformierte, 5623 Römisch-Katholische, 3631 Juden und 1617 andre.

[Handel und Industrie.] Schon gegen Ausgang des Mittelalters verdankte L. seine wachsende Bedeutung vornehmlich dem Handel. Die nach mehr als 400jährigem Bestehen im J. 1887 aufgelöste Kramerinnung und die später neben ihr begründete Vereinigung der Großhändler sowie der aus beiden Körperschaften gebildete Handelsvorstand (bis 1868) haben in ihrer Blütezeit eine hervorragende Rolle gespielt. Den Charakter als Handelsstadt hat L. zunächst durch seine drei Handelsmessen, zu Neujahr, Ostern und Michaelis, gewonnen, welche es zu einem Platz von universeller Bedeutung für die Handelswelt machen. Unter ihnen dauert die Neujahrsmesse, die unbedeutendste, zwei Wochen (1.–15. Jan.), die Oster- oder Jubilatemesse (zugleich Buchhändlermesse) und die Michaelismesse je drei Wochen, wovon die erste die „Böttcherwoche“, die zweite die „Meßwoche“, die dritte die „Zahlwoche“ genannt wird. Am Donnerstag der Zahlwoche müssen alle zur Messe eingegangenen Wechselverbindlichkeiten gelöst werden; in der Neujahrsmesse ist der 12. Jan. dieser Zahltag. Die Leipziger Messen entwickelten sich aus Jahrmärkten und erlangten erst eine größere Bedeutung, als 1507 Kaiser Maximilian I. der Stadt Stapel- und Niederlagsrecht verlieh. Infolge der günstigen Lage Leipzigs in dem gewerbfleißigen Sachsen und zwischen dem industriereichen Westen Europas und dem stark konsumierenden Osten sowie infolge des Eifers, mit dem der Leipziger Rat und die sächsischen Fürsten über den „Freiheiten“ der Leipziger Messen wachten, erhoben dieselben sich zu einer Bedeutung, welche von 1711 an diejenige der ältern Reichsmessen von Frankfurt a. M. überragte und auch nicht durch die großen Anstrengungen Frankfurts a. O. beeinträchtigt werden konnte. Die hauptsächlichsten Blüteperioden der Leipziger Messen fallen in das Ende des 17. und das Ende des 18. Jahrh. Einen letzten großen Aufschwung nahmen dieselben infolge des Eintritts des Königreichs Sachsen in den Zollverein 1834. Wenn aber der Umfang des Leipziger Meßgeschäfts noch bis in die 60er Jahre namhaft stieg, so darf dabei nicht übersehen werden, daß die rückläufige Bewegung in der relativen Bedeutung der Messen für den Welthandel auch bei den Leipziger Messen sich trotzdem gleichzeitig vollzog. Eisenbahnen, Post, Telegraph und das Institut der Geschäftsreisenden haben den Messen das Rückgrat gebrochen. Doch darf nicht verkannt werden, daß die jetzige Bedeutung des Handels- und Industrieplatzes L. nur durch die Messen ermöglicht worden ist. Vgl. E. Hasse, Geschichte der Leipziger Messen, Leipz. 1885.

Unter den Handelszweigen, für welche die Messen noch jetzt von großer Bedeutung sind, verdienen der Tuch- und der Lederhandel, besonders aber der Rauchwarenhandel hervorgehoben zu werden; dieses Geschäft gehört dem Welthandel im eigentlichen Sinn des Wortes an, denn hier findet der Austausch der amerikanischen und der russischen Rauchwaren statt, von welchen sich ungeheure Vorräte in den hiesigen Lagern zusammenfinden. Bei den Londoner Auktionen wie bei den Märkten in Nishnij Nowgorod spielt L. durch seine Vertreter eine wesentliche Rolle. In andern Zweigen, wie im Glas- und im Kurzwarengeschäft, pflegen die Verkäufer die Messen nur noch mit Musterlagern zu beziehen. Abgesehen vom Rauchwarengeschäft, welches die Käufer aus dem Orient auf längere Zeit hier festhält, spielt sich der Großhandel in der Hauptsache in wenigen Tagen ab und zwar in der sogen. Vorwoche, welche der Böttcherwoche vorangeht, also noch vor dem amtlichen Beginn der Messe. Von hervorragender Wichtigkeit war früher, besonders in den ersten Jahrzehnten nach Begründung des Zollvereins, der sogen. Zwischenhandel, worunter in erster Reihe der Vertrieb ausländischer Waren (englischer Kurz- und Manufaktur-, d. h. Webwaren, französischer und schweizerischer Seidenstoffe, Stutz- und Taschenuhren etc.) und zwar meist wieder nach dem Ausland verstanden wurde; er fand in den Messen einen Stützpunkt. Mit der Erleichterung des direkten Verkehrs, mit dem Erstarken der heimischen Industrie ist dieses Geschäft mehr und mehr zusammengeschrumpft. Auch der Handel in Webgarnen, in roher und gefärbter Seide, in Farbewaren, in Eisen und Blech, welcher, von alten, kapitalkräftigen Firmen betrieben, die Industrie in weitem Umkreis versorgt, ist schwieriger und weniger gewinnbringend geworden. Ebenso hat der Getreidehandel an Bedeutung verloren, seit der Zoll den Bezug russischen Getreides erschwert. Dagegen ist der Wollhandel mit dem steigenden Verbrauch von Kolonialwollen durch die Industrie

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 665. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b10_s0665.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2021)