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CCXXVI. Wien; die Ferdinandsbrücke.




Auf der Dampfbootfahrt von Regensburg bis in die Nähe von Wien trägt die Donau, wenig Stellen ausgenommen, den Charakter des feierlichen Ernstes. Bald wälzt sich der Strom tobend durch ein düsteres Felsenthal; bald rauscht er zwischen Höhen, zwischen dichtbewaldeten Bergen dahin, an deren Abhängen Dörfer und Flecken sich ausbreiten, und von deren Gipfel alte Burgen und Trümmer, oder prächtige Schlösser und Abteien, wohlerhalten, herabschauen. Fast immer sind die Ufer malerisch; aber frei wird die Landschaft nur an wenigen Punkten, und noch seltner ergötzt eine weite Aussicht. Erst bei dem Städtchen Mautern, 2 Posten von Wien, verläßt die Donau die Gebirgsgegend ganz und tritt in die Ebene hinaus. Von da bis zur ungarischen Grenze fließt sie zwischen Inseln, sogenannten Auen, die sich auf der klaren, ausgebreiteten Wasserfläche zu wiegen scheinen. Gleichsam wie im Triumphe zieht der majestätische Strom durch das gesegnete Flachland. Das erste ferne Zeichen von der Nähe der Hauptstadt ist eine ungeheure Dunstwolke, welche sich über Wien ausbreitet, und die gemeinlich nichts weiter sehen läßt, als den Thurm St. Stephans. Wie ein Obelisk scheint dieser auf ihr zu ruhen, und stolz trägt er den Reichsadler, wie ein König seine Krone, auf dem erhabenen Haupte. Die meisten der Reisegesellschaft sehen in ihm, wie sich das von selbst versteht, nichts, als das willkommene und erfreuliche Zeichen vom Ziele ihrer Reise. Nur Einzelne lassen muthmaßen, daß der Anblick eine tiefere Bedeutung für sie habe und mächtige Empfindungen ihre Brust erschüttern. Man sieht’s ihnen an, daß sie einsam sich fühlen in dem lauten, gesprächigen, fröhlichen Kreise, sie schleichen sich weg aus der Menge, und auf die Ballustraden gestützt, oder an die Masten gelehnt, den Blick unverwandt auf den Stephansriesen geheftet, geben sie zu erkennen, daß sie etwas anderes beschäftige, als der Vorgeschmack der Freuden und Genüsse der nahen Hauptstadt. Diesen, den Menschen voll ewig unbefriedigter Wünsche und nie zu stillender Sehnsucht, wird freilich die ernste Betrachtung überall hin folgen, sie mögen an der Wolga wandern, oder am Ganges, an der Donau, oder in den Anden.

Wien – Oesterreich – Stabilität – Monarchie, und alle Gegensätze dieser Begriffe treten wie ein Heer vor ihre Seele; der Name: Wien hat wie ein elektrischer Schlag sie geweckt. Mir geht es nicht anders. Denke ich an Wien, so denke ich es unwillkürlich als den Ort, wo die Monarchie in ihrem blendendsten Glanze strahlt, wo die Autorität als eine Thatsache

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/185&oldid=- (Version vom 29.10.2024)