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74. Der Knabe, der zehn Jahr in der Hölle diente.

In dem Dorfe Bodelshausen, das an der Straße zwischen Rotenburg und Hechingen liegt, war einmal ein Mann, dem starb seine Frau und hinterließ ihm sechs unerzogene Kinder. Da suchte der Mann eine Mutter für seine Kinder und heirathete eine zweite Frau, die war aber ein böses Weib und eine rechte Rabenmutter und quälte ihren Mann und ihre armen Kinder, und oft hörte man sie den Wunsch aussprechen: „wenn ihr nur alle beim Teufel wäret!“

Als nun der älteste Sohn konfirmirt war, wollte die Stiefmutter ihn sogleich aus dem Hause schicken und ihn bei fremden Leuten in Dienst geben. Ihr Mann sagte zwar: „der Knabe ist noch zu schwach, er kann noch nicht dienen, auch nimmt ihn jetzt noch Niemand.“ Aber das galt nichts, was der Mann sagte. Die Stiefmutter sprach: „ei was! er soll fort; ich will schon einen Herrn für ihn finden und sollt’s auch nur der Teufel sein.“ Und dann packte sie ein kleines Bündelchen zusammen, das enthielt die Kleider und die Wäsche des Knaben, und so gieng sie mit ihm fort dem Oberlande zu.

Wie sie nun im Sigmaringer Walde waren, begegnete ihr ein Jäger, grüßte sie und fragte, wo sie mit dem Knaben hin wollte? „In’s Oberland,“ sagte sie. „Und was soll er dort machen?“ fragte der Jäger. „Dienen muß er,“ sprach die Frau. Da meinte der Jäger, der Knabe sei noch viel zu klein und zu schwach und werde keinen Herrn bekommen.

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Ernst Meier: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. Scheitlin, Stuttgart 1852, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meier_Volksm%C3%A4rchen_aus_Schwaben_257.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)