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er sich eines Tages auf, um diese Forderung einzutreiben, mußte aber das Geld zu der Reise von einem Freunde entlehnen, so arm war er jetzt. Dann wanderte er fort und traf, als es schon Abend geworden und er sehr müde war, einen Mann; bei dem erkundigte er sich nach dem Wege und nach einer Herberge, und hörte von diesem Manne, daß es nur noch eine halbe Stunde Wegs bis zum Kloster sei, wo er umsonst übernachten könne. Das war ihm sehr lieb, denn viel Geld hatte er nicht zu verzehren und war auch an dem ganzen Tage noch in kein Wirthshaus eingekehrt.

Wie er nun endlich zum Kloster kam, und so recht behaglich dasaß und sich ausruhen und erquicken konnte, rief er aus: „ach eine freudige Stund läßt doch zehn traurige vergeßen!“ und war wieder ganz vergnügt und ließ sich das Eßen und Trinken schmecken. Als er aber schlafen gehn wollte, sagte man ihm, daß alle Betten bereits besetzt seien und daß er auf den Boden der Stube sich hinlegen müße. „Es ist zwar noch ein Bett leer, sagte ein Klosterbruder, das steht im Schloß; allein wir können es Niemand zumuthen, sich dahineinzulegen, weil ein Geist dort spukt.“ Der Reisende aber sagte: „es wird ja wohl der Teufel nicht sein!“ und ließ sich hinführen und legte sich getrost in das Bett; konnte aber doch vor Angst kein Auge zuthun.

Als es nun eben Mitternacht war und Zwölf schlug, hörte er ein Schlüßelbund rasseln und die Thür seiner Schlafkammer ward aufgeschloßen und ein Geist trat herein, der trug in der einen Hand ein Becken mit Seife und Waßer, in der andern hielt er ein Rasirmeßer und winkte dem Gaste;

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Ernst Meier: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. Scheitlin, Stuttgart 1852, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meier_Volksm%C3%A4rchen_aus_Schwaben_161.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)