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Während dieser Zeit verfiel seine Gemahlin in eine schwere Gemüthskrankheit und war immer traurig und mochte weder eßen noch trinken, weil ihr Gemahl gar nicht zurückkam und sie nicht einmal wußte, ob er auch noch am Leben sei. – Da kam eines Tages ein Geistlicher zu ihr, um sie zu trösten; dem aber reichte sie einen Schlaftrunk, so daß er alsbald fest einschlief. Darauf zog sie ihm den Priesterrock aus und legte ihn selbst an, ließ einen Wagen bespannen und viel Geld hineinthun und fuhr als Priester gekleidet nach Schwarzdorf zu.

Als sie aber mitten im Walde war, kamen die Räuber und nahmen sie ebenfalls gefangen und führten sie in die Höhle, wo sie sogleich an der Wand die Kleider ihres Gemahls hängen sah und nun ungefähr vermuthen konnte, wo er sein mochte.

In der Höhle aber lag der Räuberhauptmann todtkrank, und als er den Geistlichen hereinkommen sah, bat er ihn, daß er ihm doch die Beichte abnehmen möchte. Da fühlte sie dem Kranken nach dem Puls und sagte: „Dir ist noch zu helfen; ich habe ein Mittel, das ist für Alles gut, und wenn Du nur einen Löffel voll davon nimmst, so wirst Du ganz gewiß wieder gesund werden.“ – Da holte sie eine Flasche hervor und gab ihm zu trinken; dann wollten auch die übrigen fünf und zwanzig Räuber etwas davon haben und rißen sich schier darum, weil sie besorgten, der Letzte möchte zu kurz kommen. Indes reichte der Trank für Alle hin. – Kaum aber hatten sie ihn genoßen, so wurden sie müd und schliefen fest ein; denn es war ein Schlaftrunk, den sie eingenommen,

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Ernst Meier: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. Scheitlin, Stuttgart 1852, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meier_Volksm%C3%A4rchen_aus_Schwaben_093.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)