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klassischen sozialistischen Schriften, die ich Ihnen hier ersparen muß — so sei es unvermeidlich, daß immer wieder Zeiten der Ueberproduktion eintreten, die abgelöst werden von Bankerotten, Zusammenbrüchen und sogenannten „Depressionen“. Diese Zeiten folgen — das hat Marx im Kommunistischen Manifest nur angedeutet, später aber ist es zu einer eingehend ausgebauten Theorie geworden — in fester Periodizität gesetzmäßig aufeinander. Tatsächlich hat während fast eines Jahrhunderts eine annähernde Periodizität solcher Krisen bestanden. Woher das kam, darüber sind selbst die ersten Gelehrten unseres Faches noch nicht vollständig einig, deshalb wäre es ganz ausgeschlossen, das jetzt hier zu besprechen.

Auf diese Krisen baute nun der klassische Sozialismus seine Hoffnung. Vor allem darauf, daß diese Krisen naturgesetzlich an Intensität und an zerstörender, beängstigende Revolutionsstimmung hervorbringender Gewalt zunehmen, sich häufen und vermehren und irgendwann eine solche Stimmung erzeugen würden, daß die Aufrechterhaltung dieser Wirtschaftsordnung selbst innerhalb der nicht proletarischen Kreise nicht mehr versucht werden würde.

Diese Hoffnung ist heute im wesentlichen aufgegeben. Denn die Krisengefahr ist zwar durchaus nicht geschwunden, hat sich aber an relativer Bedeutung vermindert, seit die Unternehmer von rücksichtsloser Konkurrenz zur Kartellierung geschritten sind, seit sie also dazu übergegangen sind, durch Regulierung der Preise und des Absatzes die Konkurrenz weitgehend auszuschalten und seitdem ferner die großen Banken, z. B. auch die deutsche Reichsbank, dazu geschritten sind, durch Regulierung der Kreditgewährung dafür zu sorgen, daß auch die Ueberspekulationsperioden in wesentlich schwächerem Maße als früher eintreten. Also auch diese dritte Hoffnung des Kommunistischen Manifestes und seiner Nachfolger hat sich — man kann nicht sagen: „nicht bewährt“, wohl aber in ihren Voraussetzungen ziemlich stark verschoben.

Die sehr pathetischen Hoffnungen, die im Kommunistischen Manifest auf einen Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft gesetzt waren, sind daher durch sehr viel nüchternere Erwartungen ersetzt worden. Dahin gehört erstens die Theorie, daß der Sozialismus ganz von selbst im Wege der Evolution komme, weil sich die Produktion der Wirtschaft zunehmend „sozialisiere“.

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Max Weber: Der Sozialismus, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Weber_-_Der_Sozialismus_Seite_21.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)