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sei, das beansprucht eben jedermann selbst zu wissen. Das Gefühl der Ehre, der Kameradschaft der Genossen in einer Fabrik oder in ein und derselben Branche hält sie zusammen, und das ist schließlich ein Gefühl, auf welchem, nur in anderer Richtung, auch der Zusammenhalt militärischer Körper beruht. Und da es nun einmal gar kein Mittel gibt, die Streiks aus der Welt zu schaffen — man kann nur wählen zwischen offen anerkannten und geheimen Verbänden dieser Art — so halte ich es für auch vom militärischen Standpunkt klug, wenn man sich auf den Boden dieser Tatsache stellt: Das ist einmal so und, solange man mit den Leuten auskommt und sie nicht militärische Interessen gefährden, paktiert man mit ihnen, wie es tatsächlich in Deutschland geschehen ist. Das sind meine subjektiven Eindrücke.

Nun möchte ich mich aber dem Thema zuwenden, zu welchem Sie mir die Ehre gegeben haben, mich hieher zu laden, und welches ja freilich derart ist, daß man ein halbes Jahr ausführlich darüber sprechen müßte (denn in diesem Umfange pflegt man geschulten akademischen Hörern diese Dinge vorzutragen): der Stellung des Sozialismus und der Stellungnahme zu ihm. Zunächst mache ich darauf aufmerksam, daß es „Sozialisten“ der allerverschiedensten Art gibt. Es gibt Leute, die sich Sozialisten nennen und die kein einziger Parteisozialist welcher Richtung immer als solche anerkennen würde. Alle Parteien, die rein sozialistischen Charakter haben, sind heute demokratische Parteien. Auf diesen demokratischen Charakter möchte ich zunächst kurz eingehen. Was ist denn heute Demokratie? Der Punkt gehört durchaus zur Sache. Freilich kann ich ihn heute nur kurz berühren. Demokratie kann unermeßlich Verschiedenes bedeuten. Sie bedeutet an sich nur: daß keine formelle Ungleichheit der politischen Rechte zwischen den einzelnen Klassen der Bevölkerung besteht. Aber welche verschiedenen Konsequenzen hat das! Bei dem alten Typus der Demokratie, in den Schweizer Kantonen Uri, Schwyz, Unterwalden, Appenzell und Glarus versammeln sich noch heute sämtliche Bürger — in Appenzell sind das 12.000 stimmfähige Leute, sonst sind es 3000 bis 5000 — auf einem großen Platz und stimmen dort über alles, von der Wahl des Landammannes angefangen bis zur Beschlußfassung über ein neues Steuergesetz oder irgend eine Frage der Verwaltung nach erfolgter Diskussion durch Händeaufheben ab. Wenn Sie nun aber

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Max Weber: Der Sozialismus, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Weber_-_Der_Sozialismus_Seite_04.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)