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also ist die Tendenz. Um was es sich dabei handelt und wie das zu erklären ist, wird klar, wenn man schließlich auch hier fragt: wie sich die Nationalitäten zu diesen Verschiebungen verhalten.

Das Polentum im Osten schien in der ersten Hälfte des Jahrhunderts langsam und stetig zurückgedrängt zu werden, seit den 60iger Jahren aber ist es, wie bekannt, ebenso langsam und stetig im Vordringen begriffen. Das letztere ergeben für Westpreußen die Spracherhebungen trotz ihrer mangelhaften Grundlagen doch auf das Deutlichste. Nun kann die Verschiebung einer Nationalitätengrenze auf zweierlei, grundsätzlich zu scheidende, Arten sich vollziehen. – Einmal so, daß nationalen Minderheiten im national gemischten Gebiet Sprache und Sitte der Mehrheit allmählich oktroyiert wird, daß sie „aufgesogen“ werden. Auch diese Erscheinung findet sich im Osten: sie vollzieht sich statistisch nachweisbar an den Deutschen katholischer Konfession. Das kirchliche Band ist hier stärker als das nationale, Reminiszenzen aus dem Kulturkampf spielen mit, und der Mangel eines deutsch erzogenen Klerus läßt sie der nationalen Kulturgemeinschaft verloren gehen. Wichtiger aber und für uns interessanter ist die zweite Form der Nationalitätenverschiebung: die ökonomische Verdrängung. – Diese liegt hier vor. Prüft man die Verschiebungen des Anteils der Konfessionen in den ländlichen Gemeindeeinheiten 1871–1885, so zeigt sich: der Abfluß der Gutstagelöhner ist regelmäßig mit einer relativen Abnahme des Protestantismus in der Ebene, die Zunahme der Dorfbevölkerung auf der Höhe mit einer relativen Zunahme des Katholizismus verknüpft[1]. Es sind vornehmlich deutsche


  1. Z. B. hatten die Gutsbezirke des Kreises Stuhm 1871–1885 einen Bevölkerungsrückgang um 6,7 %, der Anteil der Protestanten [8] an der christlichen Bevölkerung ging von 33,4 auf 31,3 zurück. Die Dörfer der Kreise Konitz und Tuchel hatten + 8 %, der Anteil der Katholiken steig von 84,7 auf 86,0 %.