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niemand gezählt, vielmehr von dessen unsäglicher Versumpftheit das Ärgste befürchtet, wenn ja einmal die Stunde der Freiheit schlagen sollte. Selbst seine Unterdrücker spotteten des harmlosen, gemütlichen Völkleins, bei dessen Indolenz und patriarchalischen Unwissenheit das Regieren gefahrloses Kinderspiel schien. Wie bezeichnend dafür ist doch das berühmt gewordene „gemütliche“ Wort des alten Kaiser Franz I., mit welchem er einmal alle Zweifel gegen den Bestand seines Regierungssystems niederschlug: „Mich und den Metternich halt’s noch aus.“

Wie war unter solchen Umständen der 13. März in Wien überhaupt möglich? Wie ist es erklärlich, daß der österreichische Absolutismus, diese gewaltige Selbstherrschaft, die Jahrzehnte hindurch ihre reaktionäre Gewaltpolitik allen Regierungen Europas aufgezwungen hatte, in wenigen Stunden einer vergleichsweise doch winzigen Kraftanstrengung seines Volkes erlag? Ist es da nicht auch dem blödesten Auge klar, daß es nicht die physische Gewalt ist, was das Wesen der Revolution ausmacht?!

Ein alter Landstand der am 13. März 1848 im Landhaus in Wien zusammentretenden Stände Niederösterreichs, fand instinktiv die richtige Lösung. Fischhof hatte soeben seine denkwürdige Rede beendet. Das massenhaft im Hofe des Landhauses versammelte Volk stand noch unter dem Banne eines bis dahin in Österreich unerhörten Ereignisses. In einem fassungslosen, überwältigenden Ausbruch der Freude muß dieses erste freie Wort in Österreich seine Hörer hingerissen haben, in einem Sturm der Begeisterung muß nun zum erstenmale die dumpfe Last, die so lange alle Gemüter niederdrückte, abgeschleudert worden sein und die belebende Erleichterung sich kundgegeben haben. Denn Fürst Johann Liechtenstein, der gleich anderen Landständen aus den Fenstern des Landtagsgebäudes herabsah auf dieses unvergeßliche, unbeschreiblich schöne Bild der ersten Volksversammlung unter freiem Himmel, er brach, überwältigt von Erstaunen in die Worte aus: „Das sind nicht mehr die Wiener“.

Nein, das waren nicht mehr die Wiener; das war nicht mehr das gedankenlose, leichtlebige Völklein an der Donau, — das war ein erwachendes, seines Wertes sich bewußt werdendes Volk. Das war nicht mehr der alte, nichtige, in eitler Genußsucht aufgehende, spielerische Sinn, — das war ein neuer, kraftvoller und hoch sich aufschwingender Geist, der nun die Massen erfüllte. Und diese Umkehrung der Gemüter, diese von Grund aus umstürzende Wandlung des Geistes — das war die Revolution, das war sie noch jedesmal, sobald sie ihres Werkes zu walten berufen war und wird sie immer sein. Denn

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Max Adler: 1848. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, Wien 1905, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Adler_-_1848_18.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2018)