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Damoklesschwert der Polizei über allen unseren Institutionen und Freiheiten. Haben wir doch hier in Österreich zuerst das schier Unmögliche und wirklich auch Unfaßbare entsetzt erlebt: das Eindringen der Polizeiwache in den Saal der Volksvertretung — und dies auf Initiative ihres eigenen Präsidenten unter dem Beifalle ganzer großer Parteien des Hauses!

Unser Verfassungsleben ist neu — aber es war nie jung. War doch das deutsche Bürgertum, das es begründet hatte und nun ausgestalten sollte, um seine Jugend und besten Mannesjahre betrogen, von den ersten Zeiten seiner Herrschaft angefangen bereits schwach und greisenhaft. Nun ließ es sich in einer kurzen, stürmischen Erinnerung an längst verlorene Jugendkraft über seine eigene Lebensfähigkeit täuschen. Das Erwachen aus dem glücklichen Traum konnte nicht ausbleiben und und es kam schnell und gründlich. Denn der Erbe, an den das Bürgertum gar nicht gedacht hatte, war mit ihm zugleich aufgetreten, seine Volljährigkeit zu reklamieren, die doch erst das Bürgertum sich zu erringen gedachte. Da trat jetzt diesem in greller Klarheit die plötzliche Erkenntnis vor die Seele, daß die Zukunft ihm nicht mehr gehöre. Was Wunder, daß es unter diesem Eindrucke nun sogar an seiner Gegenwart verzweifelte und überall die eben erst errungene Konstitution fallen ließ, um sie nur nicht mit der Jugend, mit dem wirklichen Volke teilen zu müssen. Und seither ist alles, was in Österreich an wirklich konstitutionellem Leben erworben und namentlich erhalten wurde, dem Bürgertum abgetrotzt und muß in unaufhörlich wachsamer Hut vor ihm beschützt werden.

Das Proletariat aber, wenn es heute über alle die Jahre zurückblickt auf die Zeit der ersten österreichischen Konstitution, wenn es an dem Maß der damals für das ganze Volk geforderten Rechte und Freiheiten mißt, wessen es sich heute nach so vielen Kämpfen und Opfern hievon zu erfreuen hat, wenn es den tiefen Fall seiner Gegner erblickt, die heute sich nicht einmal voll zu ihrer Vergangenheit zu bekennen wagen — unterdrückt nur mühsam seine Empfindungen des Grolles und der Verachtung, verwindet nur schwer im Herzen die Wehmut und den Schmerz über so viel verlorene Zeit, über so viel unverrichtete Arbeit beim Werke der Völkerbefreiung. Doch mit aufatmender Brust reißt es sich los von diesem kläglichen Anblick: er hat ihm eine Aufgabe gezeigt und es wird sie getreulich erfüllen.

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Max Adler: 1848. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, Wien 1905, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Adler_-_1848_16.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2018)