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auch die offizielle „Wiener Zeitung“ am Tage nach der Revolution im Anschluß an die Kundmachung des kaiserlichen Patents, welches die Erlassung einer Konstitution zusicherte, sagen, getreu ihrer Aufgabe, auch den für die Regierung unangenehmsten Dingen eine notgedrungen gute Seite abzuwinnen oder wenigstens anzulügen, daß „die Ereignisse der letzten Tage“ (d. i. die Revolution) Österreich nunmehr als ebenbürtig in die Reihe der fortgeschrittenen Staaten Europas gestellt hätten. So wurde das zusammenbrechende System durch dasselbe Organ in seiner Zurückgebliebenheit gebrandmarkt, durch welches es sonst jede andere Kritik in einer ununterbrochenen Reihe von Verbotserkenntnissen und Regierungserlebnissen zu unterdrücken gewohnt war.

Aber — ist es nicht seltsam, daß es uns nicht gelingen will, heute, da wir des Sturzes dieses lähmenden Absolutismus gedenken, ungeteilte Freude zu empfinden? Ein drückendes, peinigendes Bewußtsein hält jede wärmere Empfindung nieder und pakt uns gar, wenn es sich für Augenblicke zu völliger Klarheit erhebt, mit fast unheimlichen Schauer; es ist das Bewußtsein, daß es erst wenig mehr als 50 Jahre her sind — aber nicht doch — daß es Dank der Reaktionszeit kaum 40 Jahre sind, die uns von dieser traurigen Zeit trennen, daß es also erst wenige Jahrzehnte her ist, seit wir ein halbwegs modernes, wenigstens nach dem Buchstaben des Gesetzes konstitutionelles Staatsleben in Österreich aufweisen können. Im Jahre 1848 erstand in Österreich die erste Konstitution — und heute noch stecken wir mitten in den elementarsten Verfassungskämpfen. Heute noch harren alle die Fragen, die schon im Jahre 1848 alle Patrioten und weitausschauenden Politiker beschäftigten oder doch im Fortgang der Dinge zur Diskussion gestellt wurden, der Erledigung: die Nationalitätenfrage, das Verhältnis zu Ungarn, die Wahlrechtsfrage, ganz zu schweigen von den übrigen Forderungen der damaligen Zeit, wie Vereins- und Versammlungsrecht, Preßfreiheit, Aufhebung der Zensur etc.

Es wäre ein schwerer und verderblicher Irrtum, zu meinen, daß alle Fehler und Absonderlichkeiten unseres Verfassungslebens eben in dieser seiner Neuheit und Jugendlichkeit begründet wären. Von einem sich etwa überstürzenden Kraftbewußtsein, das deshalb es manchmal am rechten Orte fehlen ließ, von einem ausschweifenden Freiheitsschwärmen, das darüber im einzelnen manchen Ausbau vergässe, — wo wäre von alledem bei uns etwas zu finden! Nein, anderswo ist die Quelle des Übels zu suchen. Wie zu Fischhofs Zeiten schwebt auch heute noch das

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Max Adler: 1848. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, Wien 1905, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Adler_-_1848_15.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2018)