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todt zu seinen Füßen liegen sah, und ließ seiner Tochter sagen, daß sie kommen, und den kühnen Helden begrüßen, und ihm ihre Hand reichen sollte. Da diese nun meinte, daß es der schöne Jüngling wäre, den sie früher bei ihrem Vater gesehen hatte, so freute sie sich heimlich im Herzen. Als sie aber seinen Bruder sah, weinte sie, und fragte, wo der Andere geblieben wäre? Da antwortete er, daß er dieses nicht wisse, indem sie nicht zusammen, sondern jeder in einer andern Gegend des Waldes gejägt hatten. Er sey daher wohl möglich, daß er irgend wo zwischen den Bergen, von dem Eber zerrissen, liegen möchte.

Da weinte die Prinzessinn noch mehr, denn sie empfand gegen den Bruder mehr Widerwillen, als Zuneigung. Weil aber der König an sein Wort gebunden war, so half ihr all ihr Widerstreben nichts, und sie mußte ihn heirathen.

So lebten sie wohl ein Jahr, aber je länger sie bei einander lebten, je mehr wurde das Herz der Königstochter von ihrem Gemahle abgewandt: denn er war hart und finster. Darum ging sie ihm auch aus dem Wege, wo sie nur immer konnte, und weinte im Stillen.

Um diese Zeit geschah es, daß einmal ein Schäfer aus der Gegend über die Brücke ging, wo der Mörder seinen Bruder erschlagen und begraben hatte. Da er nun unter dem Bogen der Brücke Rohr wachsen sah, so stieg er hinunter, um sich eine Pfeife zu schneiden. Hier kam er an eine Stelle, wo die Stengel ungewöhnlich stark emporgeschossen waren. Er wußte aber nicht, daß an diesem Orte die Gebeine des erschlagenen Jünglings lagen. Darum schnitt er sich eine Rohrstaude aus, nahm sie in seine Hand, und ging damit zu seiner Heerde. Hierauf setzte er sich unter einen Baum, und machte sich die Flöte. Nachdem er Alles wohl zugerichtet, und die Löcher eingeschnitten hatte, setzte er sie an seinen Mund, um sie zu versuchen. Wie