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weiße Verband am Kopfe und die käsgelbe Gesichtsfarbe zeigen, daß seine Wiederherstellung noch nicht vollständig ist. Bald, in wenig Wochen jedenfalls, wird er wieder im Felde stehen ...

Am alten Bahnhof weht über einem außer Betrieb gesetzten Dienstgebäude die weiße Fahne mit dem roten Kreuz. Diese Sanitätsanstalt scheint aber noch nicht benützt zu sein, weit und breit kein lebendes Wesen. Weiter geht’s zum noch unvollendeten neuen Bahnhof. Beim Grenzwachtposten hatte ich erfahren, daß täglich in jeder Richtung vier Züge von St. Ludwig nach Mülhausen und weiter nach Straßburg fahren, je zwei vormittags und nachmittags. Am Schalter teilt man mir mit, daß der nächste Zug in zwei Stunden abfährt. Also zurück ins Dorf und die Zeit genützt. Vor einigen Häusern sitzen ältere beschäftigungslose Einwohner mit mißvergnügten Gesichtern. Junge Leute, aus einem andern Zeitalter geboren und in anderen Verhältnissen aufgewachsen, ziehen mit frohen Mienen durch die Straßen und streben einer neuen saubern Bierkneipe zu. Morgen vielleicht erwartet sie schon der Einberufungsbefehl. Da heißt’s, das Heute noch froh genießen.

Militär ist wenig zu sehen in St. Ludwig. Die schwarz-weiß-rote Fahne, die aus einem schönen Gebäude heraushängt, zeigt, daß irgend ein Stab, wohl ein Etappen- oder Territorialkommando, sich hier befindet. Ab und zu saust ein Landwehr-Radfahrer, den Karabiner umgehängt,

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Karl Müller: Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers. Velhagen & Klasing, Bielefeld ; Leipzig 1915, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%BCllerKriegsbriefe.pdf/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)