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Kopfe auf seinem Lager. Ein seitlich eindringendes Geschoß hat ihm den Kiefer zerschmettert, die Zunge und eine Halspartie durchbohrt. Mühsam stammelt auch er schon einige Worte. Er wird genesen. — Neben ihm ein Franzose mit einem schweren Brustschuß, das Gesicht sorgsam mit einem Fliegengitter zur Abwehr der in dieser Gegend besonders zahlreichen Fliegen bedeckt. Auch ihn hoffen die Ärzte zu retten. — Wieder ein Deutscher. Sehr schwere Verletzung des Unterleibes. Der Urin muß ihm künstlich durch Katheter abgeleitet werden. Er fleht mit schwacher Stimme um Wasser, denn er leidet brennenden Durst. Es muß ihm verweigert werden, Wasser wäre jetzt Gift für ihn; nur teelöffelweise darf es ihm in bestimmt abgemessenen Zeiträumen verabreicht werden. — So geht es — auch für den Besucher ist es ein Leidensgang — von einem Lager zum andern, für jeden hat der Professor ein kurzes, aber freundliches Wort. In einem Nebenraume ist ein Operationstisch aufgeschlagen. Die Frage, ob die Operationen unter Narkose stattfinden, wird bejaht. Es sind genügend Betäubungsmittel vorhanden. Alle Einrichtungen sind einfach, aber zweckmäßig und reinlich. Wie glücklich diese Unglücklichen gegenüber denen, die in einem verlorenen Winkel des Schlachtfeldes liegen bleiben oder in fernen Feldspitälern wegen Mangel an Ärzten und Einrichtungen dahinsiechen!

Das Schloß, das nun als Lazarett dient, weist keinerlei neuzeitliche Veränderungen auf. Im

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Karl Müller: Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers. Velhagen & Klasing, Bielefeld ; Leipzig 1915, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%BCllerKriegsbriefe.pdf/59&oldid=- (Version vom 1.8.2018)