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Im Feldlazarett zu M. lag ein Unteroffizier aus Schlesien namens V., der mit einer starken Quetschung der Brust, verbunden mit innerlichem Bluterguß, eingeliefert worden war. Bei seiner Untersuchung fand man den Brustbeutel genau auf dem Herzen liegend; der Mann hatte ihn absichtlich so umgelegt. Darin fanden sich drei Fünfmarkstücke und ein Dreimarkstück, stark verbogen. Ein Infanteriegeschoß war an den Münzen abgeprallt. Neben ihm lag ein achtzehnjähriges Bürschchen, das vor dem Kriege als Piccolo in einem Hotel in Stellung gestanden und sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte. Er ist von nicht weniger als zwölf Granatsplittern getroffen und wie durch ein Wunder dem Tode entgangen. Sieben seiner Kameraden hatte die gleiche Granate erschlagen. Im gleichen Saale lag neben mehreren Südfranzosen und Korsikanern auch ein Elsässer, der seinerzeit im deutschen Heere gedient hatte, dann als Reservist ohne Abmeldung aus dem Elsaß nach Frankreich abgewandert und beim Kriegsausbruch — nach seiner Angabe gezwungen — in das französische Heer eingereiht worden war. Er wird sich nach seiner Wiederherstellung vor dem Kriegsgericht zu verantworten haben.

Unter Führung des Chefarztes, Geheimrat H., machte ich letzter Tage einen Gang durch das schon genannte große Garnisonlazarett in S. Es war eine Freude zu sehen, wie wohlverpflegt und vergnügt die Verwundeten sind. In allen Räumen standen noch die Weihnachtsbäume, und die Wände

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Karl Müller: Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers. Velhagen & Klasing, Bielefeld ; Leipzig 1915, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%BCllerKriegsbriefe.pdf/184&oldid=- (Version vom 1.8.2018)