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und vorgeschobenen Stellungen wird der Dienst mit erhöhter Strenge und Aufmerksamkeit betrieben. Man ist darauf gefaßt und vorbereitet, daß der Feind, im Wahne, die deutsche Gefechtsbereitschaft könnte etwa zu Weihnachten nachlassen, gerade diesen Festtag, der den Franzosen wenig sagt, zu einem kräftigen Angriffe wählt. Darum wird Weihnachten staffelweise gefeiert. Vorne in den Stellungen und Schützengräben regiert auch am heutigen Feste des Friedens Mars die Stunde. Wer am heiligen Weihnachtsabend im Schützengraben liegt, der feiert tags darauf Weihnachten im geschützten Quartiere oder Unterstande.

Am Nachmittag finde ich mich wieder im Hauptquartiere des Generalkommandos ein. Für die hier liegenden Truppen findet um halb fünf Uhr in der Kirche die Christbaumfeier statt. Die Kirche ist reich mit Tannengrün geschmückt. Vor dem Chor prangt ein mächtiger Weihnachtsbaum, dessen strahlende Kerzen den schönen Raum erleuchten. Mit den Soldaten hat sich auch ein Teil der einheimischen Bevölkerung zu der Feier eingefunden. Ein katholischer Feldgeistlicher hält vor der konfessionell gemischten Soldaten- und Bürgergemeinde eine ebenso gehalt- wie taktvolle Predigt, in der er unter anderm den Gedanken ausführt, der kommende Friedensschluß möge Deutschland nebst seiner äußeren Sicherheit auch den dauernden konfessionellen Frieden bringen. Ein ausgewählter, gutgeschulter

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Karl Müller: Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers. Velhagen & Klasing, Bielefeld ; Leipzig 1915, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%BCllerKriegsbriefe.pdf/153&oldid=- (Version vom 1.8.2018)