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schließen lassen, daß sie dieser stets mit Verlusten verbundenen Kriegführung, die ihnen zwecklos erscheinen mag, überdrüssig sind. Sie hätten Frau und Kinder zu Hause und sähen nicht ein, warum sie sich ohne Not sollten totschießen lassen, lautet vielfach die Antwort. Vom Maasabschnitt bei St. Mihiel wird übereinstimmend gemeldet, daß sich französische Reservisten zahlreicher gefangen geben, seitdem ihnen bekannt geworden ist, daß es nichts ist mit dem ihnen von den Vorgesetzten und der Presse vorgemalten Schreckgespenst, wonach die Deutschen angeblich alle Gefangenen erschießen! Dort hatte jüngst ein französischer Reservist, der sich freiwillig gefangen gegeben hatte, dem ihn verhörenden deutschen Offizier zur Begründung seines Verhaltens erklärt, er hätte zu Hause eine Familie. Als ihm der Offizier bemerkte, das sei doch kein Grund für einen Soldaten, um sich zu drücken, lautete die rasche und bestimmte Antwort: Pour moi, ça suffit.

Lassen solche Erscheinungen auf einen gewissen Grad von Entmutigung und Demoralisation einzelner Truppenteile des französischen Heeres schließen, so wäre es doch verkehrt, daraus allzuweit gehende und allgemeine Schlüsse zu ziehen. Es stehen diesen Anzeichen zahlreiche andere Fälle gegenüber, die beweisen, daß der altfranzösische tapfere Soldatengeist den überwiegenden Teil des französischen Heeres noch beseelt. Namentlich den Nordfranzosen wird von den Deutschen kriegerischer Mut und Todesverachtung nachgerühmt.

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Karl Müller: Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers. Velhagen & Klasing, Bielefeld ; Leipzig 1915, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%BCllerKriegsbriefe.pdf/131&oldid=- (Version vom 1.8.2018)