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Die Arme im Nacken verschlungen, blinzelte die Nixe zu der jungen Frau hinauf.

„Du suchst den Reifen schwer von Gold,
Dies Kleinod ich dir geben sollt’?
Gib mir ein andres Kleinod schnell,
Den Patenbecher blinkend hell.“

Kalt wie Wasserflut klangen die Nixenworte, daß Frau Irmela erschauerte. Ach! gerade dieses Andenken herzugeben, ward ihr schwer, doch zog sie den Becher sogleich hervor, indem sie antwortete: „Nimm ihn, Nixe, denn die Kinder sind mehr wert als schnödes Gold. Gib mir den Reifen.“

Die Nixe griff hastig nach dem Becher, ihn sofort in die Tiefe versenkend. Dann sprach sie wie vorhin:

„Für den Becher hier von Gold
Ich den Reifen geben sollt’?
Größ’rer Schatz der Reif mir war,
Gib mir noch dein goldnes Haar.“

Stiefmütterchen erschrak, denn diesen Schmuck des Hauptes gibt wohl niemand gern her.

Aber trotzdem. Seufzend nahm sie den von der Nixe dargereichten messerscharfen Binsenhalm in Empfang, mit dem sie in Ermangelung einer Schere ihr Haar abschnitt.

Kaum hatte die Nixe es erhalten, als sie, mit kaltem Blick die Opfermutige betrachtend, ihr zurief:

„Im Nixenteich die Wasserfei
Gibt ihren Goldreif noch nicht frei, –
Sie heischt dafür der Dinge drei!“ –

Händeringend stand Frau Irmela am Ufer, ratlos stammelnd: „Was ich besaß, gab ich dir, willst du vielleicht noch meine goldnen Nadeln?“

Verächtlich blickte die Nixe auf den Schmuck. Dann fuhr sie fort, – und es klang hohl wie das Gurgeln des Wassers:

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Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_132.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)