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„Tiri, tiri, o Königssohn,
Will di, will di nun gleich zum Lohn
Ein Obdach zeigen;
Mußt aufwärts steigen.“

Immo winkte seinem Bruder, und als beide noch ein kleines Stück bergauf ritten, lag eine Köhlerhütte vor ihnen.

Der Köhler fand sich bereit, ihnen Obdach zu geben, wenn sie mit einem Strohlager vorlieb nehmen wollten. Er ahnte natürlich nicht, daß er zwei Königssöhne beherbergen sollte, wenn er auch Balduins kostbare Kleidung mit einigem Erstaunen musterte.

Sein Weib brachte Brot, Milch und Käse und sorgte, daß es auch den Rossen an nichts mangelte. Balduin schlief, trotz des ungewohnten Lagers, bald ein, doch Immo setzte sich zu dem Köhler an das Herdfeuer und ließ sich von ihm etwas erzählen.

Der Köhler, welcher Immo für den Knappen Balduins hielt, berichtete ihm denn auch ohne Scheu, was der Königssohn wissen wollte, der nach der Gegend fragte, nach der Ausdehnung der Wälder und was sonst jemanden interessieren konnte, der auf Abenteuer ausziehen wollte.

Als der Köhler letzteres merkte, ward er plötzlich ganz vertraulich und sagte: „Drei Tagereisen von hier liegt das Falkenschloß. Ganze Scharen von Falken umkreisen es tagaus, tagein; das sind verzauberte Menschen, die in die Gewalt des Zauberers gelangten, der im Falkenschloß haust. Sie wollten alle die beiden Prinzessinen erlösen, die dort oben irgendwo gefangen gehalten werden. Ein Hirte verirrte sich einmal in der Nähe des Falkenschlosses und hörte daselbst den Gesang der Prinzessinnen. Da hat er nirgends mehr Ruhe gefunden. Er ist oft wieder zum Falkenschloß gewandert, bis niemand ihn wiedersah. Gewiß ist auch er dem Zauberer verfallen und von ihm in einen Falken verwandelt worden.“

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_085.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)