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Er sprach lange und eindringlich mit Balduin und Immo, ermahnte sie nochmals zu allem Guten, besonders auch zu brüderlicher Treue und Einigkeit, und winkte ihnen darauf, ihm zu folgen.

Durch weite Säle und Gänge des Schlosses führte er sie zu einem ganz versteckten Gemach, das sie noch nicht kannten, dort also sprechend:

„Liebe Söhne, ich will euch nun einen besonderen Beweis meines Vertrauens geben, indem ich euch zwei Dinge anvertraue, die bisher kostbare, unersetzliche Schätze für mich waren, und die ihr hoffentlich unversehrt wieder heimbringen werdet, denn sie können euch lebenslang von Nutzen sein.“

Der König öffnete eine Truhe und ließ die Prinzen hineinsehen.

Sie erblickten zwei kleine Gegenstände: einen winzigen, aus Gold gefertigten Fasan und eine unscheinbare, ganz eingetrocknete Springwurzel.

„Seht,“ sprach der König, „das sind die beiden Schätze, die ich euch anvertrauen will. Der kleine Goldfasan ist ein Zaubervogel, der, wenn das Zaubersprüchlein erklingt, zu der Größe eines Fasanen wächst und dem Besitzer goldene Federn und goldene Eier spendet, so oft dieser es heischt. Die Wurzel hat andere Zauberkräfte. Sie wandelt sich auf ihr Zaubersprüchlein hin in ein Männlein, das ,Springmännlein’ heißt und seinem Besitzer mit Rat und Tat beisteht, wenn er dessen bedarf. Balduin, du als ältester meiner Söhne, tritt zuerst zur Truhe und wähle dir einen von beiden Schätzen.“

Da lachte Balduin, ergriff den goldenen Vogel und sprach: „Mit Verlaub, mein Vater, ich halte es mit dem Goldfasan, denn ein Königssohn muß mit Glanz und Pracht in die Welt ziehen, und was den ,guten Rat’ anbelangt, so habe ich ja mein gutes Schwert, das ist mein bester Ratgeber.“

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Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_083.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)