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Ludwig Anzengruber: Der Pfarrer von Kirchfeld. Aus: Ludwig Anzengrubers sämtliche Werke. Band 2


Annerl. Michel!

Michel. U mein!

Annerl. Du seufzst? Was hast denn?

Michel. Ja weißt, das tu ich so zu meiner Pläsur – ich pfnaus mich schön stad aus dabei, bsonders wann ich ein weiten Weg gangen bin.

Annerl. Du wirst aber a weit umgangen sein, bis d’ in Kirchfeld zum Pfarrhof troffen hast.

Michel. Ah beileib, ich war heut schon weit von Kirchfeld.

Annerl. So, wo denn leicht?

Michel. In St. Jakob!

Annerl. Geh, in unsern liebn Heimatdörfl?

Michel. Ja! – Weil gestern schon ’s Gred war von ein gwissen Kreuzl, das dir der Pfarr gschenkt hätt und das d’ heut tragen wurdest, bin ich fruh ausn Ort und über die Berg; in St. Jakob hab ich richtig mein Mutter in der Kirch troffen. Du weißt, sie hat – wie s’ euer Sacherl nach deiner Mutter ihrn Tod verkauft habn – der ihr Betbüchel mit der silbern Schließen erstanden, das hab ich ihr mit vieler Müh abbettelt (zieht ein Tuch hervor, aus dem er das Gebetbuch wickelt), denn ich hab mir denkt, du könntst leicht a geistliche Stärkung brauchen, und wenn dir der Herr Pfarrer ’s Kreuzl von seiner seligen Mutter schenkt, so kann ich dir nix Gscheiters bringen als a Betbüchel von dein Mütterl – Gott hab’s selig!

Annerl (preßt das Buch an die Brust). Michel, du bist a grundguter Bub!

Michel. Na, wann d’ nur einsiehst!

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Anzengruber: Der Pfarrer von Kirchfeld. Aus: Ludwig Anzengrubers sämtliche Werke. Band 2. Wien 1922, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Anzengrubers_s%C3%A4mtliche_Werke_II_070.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)