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zu thun, weil sie Nichts treiben zu können glaubt, was, bei’m Lichte gesehen, sie beschämen könnte.

10. Es gibt einen Mythus, welcher erzählt, es wäre einmal in alten Zeiten ein wunderschönes Mädchen, Namens Myia [Fliege] gewesen, ein allerliebstes Plaudertäschchen, das des Schäkerns und Singens nie müde geworden wäre. Einst hätte sie sich in den schönen Endymion verliebt, aber eine Nebenbuhlerin an der Seléne gefunden. Weil sie nun, wenn der Jüngling schlief, mit ihrem unaufhörlichen Necken, Trillern und Singen ihm keine Ruhe ließ, so wäre Endymion endlich böse geworden, und Seléne hätte sie in ihrem Groll in eine Fliege verwandelt. Und daher komme es, daß sie, in beständiger Erinnerung an Endymion, allen Schlafenden ihre Ruhe mißgönne, besonders aber den Jugendlichen und Zarten. Ihr Biß und ihr Verlangen nach Blut ist also kein Zeichen von Grausamkeit, sondern von Liebesdrang und Zuneigung zu den Menschen. Sie sucht wenigstens, so viel sie kann, von ihnen zu genießen, und gleichsam die Blüthe reizender Körper sich zuzueignen.

11. Auch gab es vor Alters eine Dichterin, des Namens Myia, die eben so schön als geistreich gewesen seyn soll. Nicht minder führte eine sehr berühmte Hetäre zu Athen diesen Namen, von welcher ein Lustspieldichter sagt:

Die Fliege hat ihn bis ins Herz gestochen.

So hat es also auch die witzige Komik nicht unter ihrer Würde gehalten, die Fliege auf die Bühne zu bringen; noch haben Eltern Anstand genommen, ihren Töchtern diesen Namen zu geben. Sogar die Tragödie gedenkt der Fliege mit hohem Lobe, wenn sie sagt:

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. Stuttgart 1827–1832, Seite 1414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1414.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)