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diese Pappeln eigentlich die Schwestern des Phaëthon sind, die, vergehend vor Jammer um den unglücklichen Jüngling, in Bäume verwandelt wurden, von welchen ihre Thränen fortan in Gestalt des Bernsteins herabträufeln. Ich selbst hatte diese Sage oft genug aus dem Munde unserer Dichter vernommen, und hoffte immer, wenn ich einmal an den Po käme, mich unter eine dieser Pappeln zu stellen, und etliche solcher Thränen in meinem Mantel aufzufangen, um auch Bernstein zu haben.

2. Vor nicht gar langer Zeit hatte ich nun, einer andern Ursache wegen, Veranlassung, jene Gegenden zu besuchen, und den Po stromaufwärts zu befahren. So aufmerksam ich mich umsah, so konnte ich gleichwohl weder Pappeln noch Bernstein zu Gesichte bekommen: ja die Einwohner kannten nicht einmal den Namen Phaëthon. Und als ich fragte, wenn wir denn einmal zu den Pappeln kommen würden, welche den Bernstein geben, lachten sie mich aus, und sagten, ich müßte mich deutlicher erklären, Was ich meinte. Da erzählte ich ihnen denn den ganzen Mythus, daß Phaëthon ein Sohn des Sonnengottes gewesen, und, wie er in seine Jünglingsjahre getreten, den Vater einmal gebeten habe, den Sonnenwagen führen zu dürfen, damit auch er einmal Tag mache. Der Vater hätte es ihm zugelassen: allein der Junge wäre aus dem Wagen gestürzt und ums Leben gekommen. „Seine Schwestern,“ setzte ich hinzu, „befinden sich in der Gestalt von Pappeln hier irgendwo bei euch am Po, gerade wo Phaëthon herabfiel, und weinen noch immer in der Trauer um ihn die Bernsteinthränen.“

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1406.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)