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2. Philokles. Hast du wirklich schon Welche kennen gelernt, denen eine solche Liebe zur Unwahrheit wie angeboren ist?

Tychiades. O ja, mein Freund; es gibt Deren sehr Viele.

Philokles. Da müßte man denn nur sagen, Unverstand sey die Ursache, warum sie Unwahrheiten sprechen, indem sie ja das Schlimmste dem Besten vorziehen.

Tychiades. Das ist es nicht, mein Freund. Ich könnte dir viele, sonst sehr verständige und höchst einsichtsvolle Männer nennen, die gleichwohl auf eine unbegreifliche Weise in diesem Uebel befangen, und so große Liebhaber vom Lügen sind, daß es mich wirklich verdrießt, zu sehen, wie Leute, die doch in allen übrigen Stücken so vorzüglich sind, ihre Freude daran haben können, sich selbst und Andere zu betrügen. Jene Alten z. B. kennst du ja selbst und besser als ich, den Herodot, den Knidier Ctesias, und die noch ältern Dichter, den großen Homer nicht ausgenommen: alle diese hochgepriesenen Schriftsteller haben ihre Lügen sogar in Bücher gebracht, so daß sie nicht blos ihre damaligen Zuhörer betrogen, sondern daß ihr in die schönsten Worte und Sylbenmaße gefaßter Trug sich durch fortgehende Ueberlieferung bis auf unsere Zeiten erhalten hat. Mehr als einmal war es mir, als ob ich mich für sie schämen müßte, wenn ich ihre Erzählungen von der Entmannung des Uranus las, oder von dem angeschmiedeten Prometheus, oder von der Empörung der Giganten, oder ihre tragischen Schilderungen von der Unterwelt, und wie Jupiter aus Liebesdrang zum Stier oder Schwan geworden, wie ein Weib sich in einen Vogel

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1356.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)