Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Micyll. Kummer? Worüber denn? Ich begreife nicht, was du sagen willst?

Der Hahn. Ich herrschte über ein großes, sehr ergiebiges und volkreiches Land, dessen prächtige Städte, schiffbare Ströme und bequeme Seehäfen wenige ihres gleichen hatten: ich besaß ein zahlreiches Heer, eine vortrefflich geübte Reiterei, eine sehr ansehnliche Leibwache, viele Kriegsschiffe, eine unermeßliche Summe Geldes, eine außerordentliche Menge goldener Geräthschaften und Geschirre; kurz Alles, was zum Pompe des Königthums gehört, hatte ich im Vollauf. So oft ich mich öffentlich sehen ließ, strömte die Menge, die in mir einen Gott zu erblicken wähnte, herbei, mich zu betrachten, und mir ihre Verehrung zu bezeugen. Viele stiegen sogar auf die Dächer, und hielten es für ein großes Glück, meinen Wagen und meine Pferde, meinen Mantel, mein Diadem und mein Gefolge recht in der Nähe gesehen zu haben. Ich, der ich wohl wußte, was mich ängstigte und drückte, hatte Mitleid mit ihrer Einfalt und mit mir selbst, und kam mir vor, wie die kolossalen Bildwerke eines Phidias, Myron oder Praxiteles, die von außen aus lauterem Gold und Elfenbein gearbeitet zu seyn scheinen, und einen herrlichen Jupiter oder Neptun mit einem Dreizack oder einem Donnerkeil und Blitzstrahl in der Rechten, darstellen; schaut man aber in’s Innere hinein, so sieht man Nichts als hölzernes Sparrwerk, Klammern und Nägel, Klötze und Keile, Pech und Lehm und eine Menge dergleichen Unrath; nicht zu gedenken der Mäuse und Ratzen, welche bisweilen den unförmlichen Raum bevölkern. Gerade so ist es auch mit der Fürstenwürde.

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1171.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)