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vollen Flammen. Abauchas rafft sich auf, denkt nicht an seine jammernden Kleinen, drängt seine Gattin, die sich an ihn hing, zurück, und heißt sie sich retten, so gut sie könne: aber den Freund ladet er auf die Schultern, arbeitet sich durch, wo er sieht, daß die Flammen noch nicht Alles ergriffen hatten, und kommt glücklich mit ihm auf die Straße. Die Frau mit dem Säugling kommt hinten drein, und läßt das Mädchen ihr auf dem Fuße folgen: allein halb versengt von der Glut läßt sie das Kind ihren Armen entgleiten, und war kaum noch im Stande, zugleich mit dem Töchterchen, das nahe daran war, zu ersticken, mittelst eines kühnen Sprunges durch die Flammen sich zu retten. Man hat nachher dem Abauchas öfters Vorwürfe gemacht, daß er Weib und Kinder im Stiche gelassen, und den Gyndanes gerettet habe; allein seine Antwort war immer: „Andere Kinder kann ich leicht wieder bekommen, und es ist immer ungewiß, ob sie werden zu guten Menschen werden: allein einen Freund, wie Gyndanes, dessen Liebe ich schon so oft erprobte, hätte ich vielleicht in vielen Jahren nicht wieder gefunden.“

62. Und nun begnüge ich mich, Mnesippus, von vielen Scythischen Freunden diese fünfe dir zur Probe vorgeführt zu haben. Es dürfte jetzt Zeit seyn zu entscheiden, Welcher von uns die Zunge oder die rechte Hand verlieren soll. Wer soll Richter seyn?

Mnesippus. Keiner. Denn wir hätten einen Schiedsmann gleich Anfangs niedersetzen sollen. Weißt du aber, was wir thun wollen? Weil wir nun doch in’s Blaue geschossen haben, so wollen wir jetzt einen Richter wählen, und ihm neue Beispiele von Freundschaften vorlegen: und Wer alsdann den Kürzern ziehen wird, dem soll die Zunge oder die Hand, je nachdem es mich oder dich trifft, abgeschnitten werden. Doch nein – Dieß wäre zu plump. Da du ja die Freundschaft so hochzuachten scheinst, und da auch ich überzeugt bin, daß es für die Sterblichen kein edleres und schöneres Gut gibt, wie wäre es, wenn auch wir einen solchen Bund schließen, und von Stunde an Freunde seyn und ewig bleiben

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1039. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1039.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)