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Haß gegen Schlechtigkeiten zu erregen, Thränen des Mitleides mit Unrechtleidenden zu erwecken, und überhaupt das sittliche Gefühl der Zuschauer zu bilden.

73. Was aber an der Kunst des mimischen Tanzes am meisten gerühmt werden muß, ist, daß sie darauf hinarbeitet, den Gliedern Stärke und Weichheit zugleich zu geben; und so seltsam es uns vorkäme, wenn man uns das Gewaltige eines Hercules und die weiche Zartheit einer Venus an einem und demselben Leibe zeigen wollte, so ist es gleichwohl der Eine Tänzer, der Beides darstellt.

74. Nun will ich dir sowohl die geistigen als die körperlichen Eigenschaften namhaft machen, mit welchen der vollkommene Tänzer ausgerüstet seyn muß, wiewohl ich der erstern größtentheils schon erwähnt habe. Ich behaupte nämlich, daß er glückliche Talente, ein treffliches Gedächtniß, seinen Verstand, Scharfsinn in der Erfindung, und vor Allem die Gabe besitzen müße, in Allem den rechten Moment zu treffen. Außerdem muß ihn ein richtiger Geschmack bei Beurtheilung der Dichtungen, der Gesangstücke und Melodieen leiten, so daß er immer das Beste herauszufinden und das Fehlerhafte zu rügen weiß.

75. Was aber seinen Körper betrifft, so dient uns, glaube ich, der Canon Polyclet’s hierin zum sichersten Maßstab. Er soll weder ungebührlich lang, noch klein und zwerghaft, sondern von einer wohl proportionirten Mittelgröße seyn: auch sey er eben so wenig dick und fett, als zu mager; denn während ihn Jenes für seine Kunst unbrauchbar machte, würde ihm Dieses das häßliche Ansehen eines Todtengerippes geben.

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 897. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0897.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)