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oder mich überhaupt nur denen beizählen wolle, die Etwas wissen. Hast du denn schon vergessen, wie ich ausdrücklich sagte, daß ich mir nicht anmaße, der Wahrheit näher als Andere auf der Spur zu seyn, und offen gestand, daß ich sie noch eben so wenig als Andere kenne?

53. Hermotimus. Immerhin mag deine Behauptung, daß man ohne vorgängige genaue Bekanntschaft mit den Lehren jeglicher Schule die rechte unmöglich herausfinden könne, sehr gegründet seyn. Allein, daß man der Prüfung jeder einzelnen so viele Jahre einräumen müsse, das, Freund, ist eine lächerliche Voraussetzung. Als ob es nicht möglich wäre, auch in sehr kurzer Zeit sich eine ganz genügende Einsicht in alle Systeme zu verschaffen! Ich für meinen Theil halte dergleichen für nichts weniger als schwer und weitläuftig. Man erzählt ja von einem großen Künstler – Phidias, glaub’ ich, war es – der aus einer einzigen Löwenklaue, die man ihm zeigte, im Stande war, genau die Größe des ganzen Löwen zu errathen. Eben so würdest du, wenn man dir bloß eine Hand wiese, den übrigen Körper aber verdeckte, doch wohl sogleich wissen, daß der verhüllte Körper ein menschlicher ist, wiewohl du von demselben bloß jene Hand sähest. Nun aber können die Hauptsätze, auf welche jedes der verschiedenen Systeme hinausläuft, in wenigen Stunden begriffen werden; jedes weitere langwierige und ängstliche Grübeln über dieselben ist äußerst überflüssig; und so genügt es, den Werth des Ganzen aus jenen Hauptpunkten zu beurtheilen, und sich darnach in der Wahl des Besten zu richten.

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0566.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)