Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Lycinus. Aber, mein lieber Hermotimus, hast du sie denn nicht auch Dinge thun sehen, dergleichen ich so eben als Augenzeuge von deinem Meister erzählte, als da sind: auf wucherische Zinsen leihen, Forderungen mit Härte eintreiben, bei Gelagen sich hartnäckig zanken, und was dergleichen Untugenden mehr sind, die sie an den Tag legen? Oder machst du dir vielleicht wenig aus denselben, wenn nur das Gewand in würdige Falten fällt, der Bart eine ansehnliche Länge hat und das Haupthaar auf der Haut geschoren ist? Nun so sollen also hinfort, nach den Grundsätzen des weisen Hermotimus, Tracht, Gang und Tonsur als Richtschnur und Maaßstab bei der Beurtheilung gelten, welches die vorzüglichsten Männer seyen. Wem es an jenen drei Stücken gebricht, und wer kein recht ernsthaftes, tiefsinniges Gesicht zu machen weiß, fort mit dem, der taugt nichts! Aber ich fürchte, mein Bester, du willst abermals deinen Spaß mit mir treiben und mich auf die Probe stellen, ob ich die Schalkheit merke.

19. Hermotimus. Warum glaubst du das?

Lycinus. Weil eine solche Art zu beurtheilen, wie diese, wobei bloß auf das Aeußere gesehen wird, nur bei Bildsäulen angewendet werden kann. Und käme es wirklich bloß auf Haltung und Anstand und gewählten Faltenwurf an, eure Philosophen würden gegen die vollendet schönen Gebilde eines Phidias, Alkamenes und Myron gewaltig den Kürzern ziehen. Wäre es wirklich so, daß nach solchen Kennzeichen geurtheilt werden müßte, wie übel wäre der Blinde daran, wenn er einen Trieb zur Philosophie in sich verspürte! Wie könnte Dieser, der weder Tracht noch Gang

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0532.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)