Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

21. So viel von dieser Volksversammlung. Nun gieng ich, den Tiresias, wegen dessen ich eigentlich die Reise gemacht hatte, aufzusuchen, und fand in ihm ein altes, blindes und schmächtiges Männchen. Nachdem ich ihm mein Anliegen vorgetragen und ihn gebeten hatte, mir zu sagen, was die beste Art, zu leben wäre, lachte er und sagte mir mit seinem schwachen Stimmchen: „Mein Sohn, ich kenne die Ursache deiner Verlegenheit; sie kommt von den Philosophen, die mit einander in stetem Widerspruche sind. Allein ich darf mich nicht gegen dich herauslassen: Rhadamanthus hat es ausdrücklich verboten.“ – „O Väterchen,“ versetzte ich, „sage mir doch, was du weißt, und laß mich nicht noch blinder, als du selbst bist, im Leben herumirren.“ Da zog er mich bei Seite, und wie wir weit genug von den Uebrigen entfernt waren, raunte er mir ganz leise in’s Ohr: „Das beste und vernünftigste Leben ist das der Ungelehrten. Gib die Narrheit auf, den überirdischen Dingen nachzugrübeln, und den Ursprung und letzten Zweck der Dinge erforschen zu wollen; verachte die künstlichen Schlüsse der Sophisten, und halte dich überzeugt, daß alle diese Dinge eitle Possen sind. Hingegen sey dein einziges Streben darauf gerichtet, die Gegenwart dir zu Nutzen zu machen, so viel du kannst: im Uebrigen gehe an den meisten Dingen mit Lachen vorüber, und halte nichts für wichtig genug, um dich darum zu bemühen.“ So sprach Tiresias, und

Wandelte eiligen Schrittes hinab die Asphodelos-Wiese[1].


  1. Odyss. XI, 539.
Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0304.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)