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keinen Körper hast? Der hungernde und dürstende Theil deiner selbst liegt ja in Lydien begraben: wie solltest denn du, die bloße Seele, noch dürsten und trinken können?

Tantalus. Das ist eben meine Strafe, daß die Seele dürsten muß, als ob sie ein Körper wäre.

Menippus. So will ich es denn glauben, weil du sagst, der Durst sey dir als Strafe auferlegt. Worin sollte aber für dich das Ungemach bestehen? Oder fürchtest du etwa, aus Mangel an einem Trank, zu sterben? Ich sehe doch keine andere Schattenwelt, und weiß auch von keiner Wanderung aus diesem an einen andern Ort.

Tantalus. Du hast allerdings Recht: aber eben dieß ist ein Theil meiner Verdammniß, daß ich eine Sucht zu trinken habe, ohne dessen zu bedürfen.

Menippus. Possen, Tantalus: du brauchst, meine ich, allerdings einen Trank, aber wahrlich nur einen von der stärksten Niesewurz. Dein Uebel ist das gerade Gegentheil von dem, welches der Biß wüthender Hunde verursacht: du scheuest dich nicht vor dem Wasser, sondern vor dem Durst.

Tantalus. O lieber Menippus, ich würde mir gar nichts daraus machen, auch einen Niesewurz-Absud zu trinken. Wenn ich nur welchen hätte!

Menippus. Beruhige dich, guter Tantalus. Wir Schatten alle trinken so wenig, als du, weil es eine Unmöglichkeit ist. Aber freilich dürsten wir nicht, wie du, zur Strafe, und weil das Wasser vor uns davon liefe.

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. Stuttgart: J. B. Metzler, 1827–1832, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0253.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)