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kannst du sehen, wie ich nur mein eigenes Interesse suche, das gemeinsame hingegen verrathe und verderbe?

15. Bedenke ferner, Merkur, ob wohl irgend ein Werk oder Besitzthum, das von Niemand gesehen und bewundert wird, dem Besitzer eben so angenehm und erfreulich ist, als wenn er es auch Andern zeigen kann? Was ich damit meine? Siehst du, wenn es keine Menschen gäbe, so würde die Schönheit des Weltalls ohne Zeugen seyn: wir besäßen einen Reichthum, der von Niemand bewundert, und von uns selbst weniger geschätzt würde, weil wir ihn mit keinem geringeren vergleichen könnten. Eben so wenig würden wir die ganze Größe unserer Glückseligkeit inne werden, wenn wir keine Wesen vor Augen hätten, denen das Schicksal unsere Vorzüge versagt hat. Denn das Große erscheint nur dann groß, wann das kleine daran gemessen wird. Und ihr, anstatt mich für diese weise Veranstaltung, wie ich’s verdiente, zu ehren, habt mir meine wohlgemeinte Fürsorge mit dem Kreuze vergolten?

16. Aber Viele unter den Menschen, wendest du mir ein, sind Uebelthäter, brechen die Ehe, gehen mit Waffen auf einander los, heirathen ihre leiblichen Schwestern, und trachten ihren Vätern nach dem Leben? Als ob nicht auch bei uns diese Verbrechen in reichem Maaße zu finden wären: und dennoch klagt deßhalb Niemand den Himmel und die Erde an, daß sie uns gezeugt haben. Vielleicht wirst du auch noch geltend machen wollen, daß die Sorge für die Menschen uns so viele Geschäfte auferlege. Allein eben so müßte sich auch ein Schäfer beklagen, daß er eine Heerde habe, weil er sie besorgen muß: dieß Geschäft mag mühsam seyn; aber eben diese Fürsorge wird zu einer Unterhaltung, die ihren besondern

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0111.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)