muß. Für die passen dann die schuhe. Aber leute, die solche füße nicht haben, verlangen von ihrem schuster dieselbe form. Die folgen sind die zahlreichen verkrüppelten füße, die man nur bei leuten treffen kann, die der herrschenden gesellschaftsklasse nicht angehören. Für deren eitelkeit wird aber der schuhmacher verantwortlich gemacht. Der niedere preis gestattet ihm nicht, einen eigenen leisten für den kunden anzufertigen, und daher kann er, wenn auch ein alter leisten durch das auflegen angepaßt werden könnte, die genaue richtung des schuhes, von der das gleichmäßige austreten abhängig ist, nicht erreichen. Diese genaue richtung der fußsohle – wohl eines der schwierigsten probleme der schuhmacherei – wird nicht nur vom grundriß des fußes, sondern größtenteils vom gange und von den gewohnheiten des trägers bestimmt.
Schuhmacher, die teuere schuhe liefern, haben leider einen kleineren verdienst als solche, die von vorneherein darauf ausgehen, minderwertige ware herzustellen. Nehmen wir zum beispiele den achtzehn-gulden-schuster und den sechs-gulden-schuster. Jener läßt einen leisten schneiden, der, mit seiner eigenen arbeit gerechnet, sechs gulden kostet, läßt die oberteile von einem gehilfen anfertigen, dem er, seiner vorzüglichen arbeit wegen, drei gulden taglohn bezahlt, und verbraucht für die oberteile drei gulden an material. Der sechs-gulden-schuster nimmt einen alten leisten und bezieht die oberteile um zirka zwei gulden fertig aus der fabrik. Auf diese weise wendet jener sechsundsechzig perzent, dieser dreiunddreißig perzent des ganzen preises für die schuhe auf. Aber auch für die konservierung des schuhwerkes wird zuwenig getan. Man sucht die kosten guter hölzer zu sparen und
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/95&oldid=- (Version vom 1.8.2018)