laufen alle darauf hinaus, daß durch die aufnahme des schnürschuhs die österreichische schuhmacherei geschädigt wird, da dieser die stieflette, die merkwürdigerweise für den österreichischen nationalschuh gehalten wird, verdrängt. Eine solche anklage ist natürlich unhaltbar. Denn schuhe und stiefel werden verbraucht, ob sie nun nach diesem oder nach jenem system gemacht sind. Dem schuhmacher ist das gleichgültig. Nicht so dem gummizugfabrikanten, der aber jetzt eben auf die herstellung anderer erzeugnisse bedacht sein muß. Gegen den zug der zeit kann kein mensch arbeiten, und millionen zentner druckerschwärze können die stieflette nicht mehr zu neuem leben erwecken.
Das lehrt uns wohl die ausstellung selbst. In der vitrine der schuhmacher-genossenschaft, die 192 schuhe zeigt, zählen wir nur drei damen-, drei herren- und drei uniformstiefletten. Die statistik ist eine unbarmherzige sprache. In zehn jahren? Da werden wir auch diese letzten neun vergeblich suchen.
Nach den englischen schustern machen gewiß unsere schuhmacher die besten schuhe der welt. Man wird zwar in den verschiedenen europäischen hauptstädten hervorragende schuster aufzählen können, aber der gleichmäßige, tüchtige durchschnitt erhebt die österreicher, was die fußbekleidung angeht, über jedes andere volk. Dies ist um so verwunderlicher, als unsere schuster für ihre leistungen schlecht gezahlt werden. Das publikum drückt die preise immer mehr und mehr, und das manko wird, wenn der gewerbsmann nicht zugrunde gehen will, in den schuhen selbst ausgeglichen werden müssen. Oh glaubt ja nicht, daß es dem schuster freude macht, schlecht zu arbeiten! Aber ihr zwingt ihn dazu. Er träumt von dem
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/93&oldid=- (Version vom 1.8.2018)