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weise hat das knie unter der hose genügend spielraum, so daß man ohne hindernis aus der gestreckten beinstellung in die kniebeuge überzugehen vermag. Nebenbei sei hier erwähnt, daß es in Wien leute gibt, welche die bedeutung der stulpen gar nicht kennen und die strümpfe unter die stulpen stecken. Sie machen damit einen ähnlich komischen eindruck wie die mancherlei falschen eingeborenen, die im sommer die alpen unsicher machen.

Als fußbekleidung trägt der radfahrer aber wie der hochgebirgler schnürschuhe. Die schnürschuhe werden das nächste jahrhundert heherrschen, wie die reitstiefel dieses jahrhundert. Die engländer haben den direkten übergang gefunden und tragen noch heute beide formen. Wir aber haben uns für die übergangszeit einen scheußlichen zwitter zurechtgelegt, die stieflette. Das höchst unangenehme an der erscheinung der stiefletten wurde offenbar, als die kurze hose kam. Da sah man sofort: ohne die wohltätige verdeckung durch die hose kann man stiefletten nicht tragen. Unsere offiziere trugen strupfen, um sie zu verdecken, und waren mit recht unglücklich, wenn die uniformierungsvorschrift strenger gehandhabt wurde, welche die strupfen für die fußtruppen verbietet. Im grunde aber sind die stiefletten tot, so tot wie der frack bei tageslicht, dessen komischen eindruck wir erst erfahren, wenn wir ihn auf der straße spazieren führen. Bei der größten hitze müssen wir den überzieher darüber ziehen oder uns in einen wagen setzen. Und komisch wirken – daran ist bisher jedes kleidungsstück zugrunde gegangen.

Durch den pedestrischen sport ist der fuß in den vornehmen kreisen heute nicht mehr so klein wie ehemals. Er wird immer größer. Die großen füße der engländer

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/89&oldid=- (Version vom 1.8.2018)