am grünen tische kann man diesen kreisen keine formen aufoktroyieren. Das weiß wohl der große fabrikant, ich glaube aber, daß auch der kleine meister an der günstigen konjunktur, die für sein erzeugnis eingetreten ist, partizipieren soll. Für ihn sollte daher der hutmodeverein, wenn er sich dieser schwierigen frage gewachsen fühlt, die sache in die hand nehmen. Vielleicht versagt aber sogar der große fabrikant. Dann werden die engländer die lachenden erben sein, denen der große schatz zufallen wird, den der kleine hutmacher im alpenland durch ein jahrtausend sorgfältig gehütet hat.
Die engländer sind nämlich ganz andere geschäftsleute als die österreicher. Für jeden markt arbeiten sie andere hüte. Wir dürfen uns keiner täuschung hingehen; auch der englische hut, den wir auf dem wiener platz erhalten, ist ein kompromiß zwischen dem modernen hut und dem hut des hutmodevereines. Für die wilden völker werden jene gegenstände erzeugt, die eben bei ihnen den meisten anklang finden. Die engländer behandeln uns wie die wilden. Und sie tun recht daran. Auf diese weise verkaufen sie sehr viele hüte an uns, während sie mit dem hut, der in der besten gesellschaft getragen wird, also mit dem modernen hut, recht schlechte geschäfte machen würden. Sie verkaufen dem wiener nicht den hut, der modern ist, sondern den, der dem wiener als modern gilt. Und das ist wohl ein großer unterschied.
Den korrekten verkaufen sie nur in London. Als meine londoner hüte zu ende gingen, ging ich hier auf die suche nach dem correct shape. Da fand ich denn, daß die hier verkauften englischen hüte mit denen in London nicht übereinstimmen. Ich gab einem hutmacher den auftrag, mir aus England den hut zu verschaffen, dessen fasson
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/81&oldid=- (Version vom 1.8.2018)