Seite:Loos Sämtliche Schriften.pdf/63

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

„Noch heute fährt der englische adel gerne im postwagen und läßt die dienerschaft per bahn fahren“.

Vielleicht bringen wir es auch einmal so weit. Viele leute glauben, es wäre ein unglück, wenn wir etwas nationales aufgeben und etwas englisches dafür eintauschen würden. Ich glaube das nicht. Hat es uns doch nicht geschadet, daß wir die kindische furcht vor den bergen – im vorigen jahrhundert hielten wir nur das flache land für schön und das gebirge für häßlich – fallen ließen und von den engländern die liebe zum hochgebirge übernommen haben. Aber die engländer meinten es nicht nur platonisch. Sie blieben nicht unten im tale und starrten die gipfel an, sondern stiegen hinauf, trotz dem kopfschütteln der deutschen, die über die „verrückten“ engländer ganz paff waren. Und heute? Sind wir denn nicht alle engländer geworden?[1]

Haben wir uns die poesie der berge erschlossen, so werden wir wohl auch in bälde die schönheit der landstraße genießen. Unser wagenbau ist bereit. Der steht schon seit langem auf englischer höhe. Unsere fabrikanten brauchen sich gar keine gewalt anzutun. Was sie schön finden, hält auch der englische wagenbauer für schön, so daß man zwischen einem englischen und einem wiener wagen keinen auffallenden unterschied entdecken kann. Der engländer und der wiener haben nur einen ehrgeiz: vornehme wagen zu bauen. Und beide kommen zu denselben resultaten.

Was ein echter deutscher kunstgewerbler ist, wird sich über diese resultate recht ärgern. „Da sieht man wieder“, so kalkuliert der mann, „daß die engländer keinen geschmack besitzen. Und die wiener auch nicht“. Wehmütig gedenkt er der herrlichen karossen aus dem siebzehnten

  1. [Anmerkungen von Adolf Loos 1931, siehe S. 208, er hat nur die Seite angegeben und sie nicht exakt platziert] Das auto gab es damals noch nicht. Aber es wird hier voraus geahnt. Die ersten abschnitte dieses aufsatzes sind ein beweis dafür, daß ein ding erst in den nerven liegen muß und dann erfunden wird.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/63&oldid=- (Version vom 1.8.2018)