wurde ihm im krieg erschossen. Seither arbeitete er allein. Er wollte nicht schlechtere sessel liefern als bisher, sie wären auch zu teuer gekommen. Und schließlich war selbst für ihn allein nicht mehr genug arbeit vorhanden. Meine schüler im auslande beschäftigten ihn. In jungen jahren hatte er in Paris gearbeitet. Er war taub wie ich, daher verstanden wir uns gut. Wie war das holz für jede form des sessels ausgesucht! Die bretter vom unteren teil des stammes bildeten die rückfüße, und die jahresringe mußten sich genau der geschweiften form anpassen. Und – nein, warum soll ich die geheimnisse einer ausgestorbenen werkstatt preisgeben?
Sechsundsiebzig jahre ist er alt geworden, sagt die parte. Bis zu dem tage, an dem er sich zu bett gelegt hat, hat er allein in der großen werkstatt gearbeitet, allein den ganzen tag geschuftet und daran gedacht, die besten sessel zu liefern für leute, die keine ahnung davon haben konnten, welche schätze sie für billiges geld erhielten. Einen besseren dienst dafür, daß sie mir arbeit gegeben haben, habe ich meinen wenigen kunden nicht erweisen können, als sie zu Veillich zu führen. Ihre enkel werden noch einmal meiner dankbar gedenken.
Die besteller hatten einen unvergeßlichen eindruck. Der taube meister allein in der großen werkstatt. Die treue gattin, die jedes wort vermittelte. Goldene hochzeiter. Philemon und Baucis. Und mit nassen augen betrat man wieder die straße.
Für mich bleibt nur die bange kundenfrage: „Was werden sie anfangen, wenn er nicht mehr ist?“ Da die sesseltischler ausstarben, ist der sessel, der holzsessel, auch gestorben. So sterben die dinge. Würde der sessel gebraucht, gäbe es einen würdigen nachwuchs. Die nachfolge
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/443&oldid=- (Version vom 1.8.2018)