Und der Bösendorfersaal hat die herrlichste akustik, ohne alle vorhänge, mit geraden, nackten mauern.
Also gilt es wohl, einen neuen saal zu bauen, mit den genauen abmessungen des alten, um den anhängern der bisherigen akustiktheorie recht zu geben, und aus demselben material, um mir recht zu geben? Das resultat: der saal wäre vollständig unakustisch.
Man hat diese versuche schon gemacht. In Manchester wurde der berühmte bremer konzertsaal genau kopiert, der als der bestakustische weltberühmt ist. Mit negativem erfolge. Aber bisher war jeder neue saal schlecht akustisch. Manche erinnern sich der eröffnung der wiener hofoper. Man klagte damals, daß es mit der wiener gesangskunst durch das unakustische haus für immer vorbei sei. Und heute gilt die oper als das muster eines akustischen theaters.
Haben sich unsere ohren geändert? Nein, das material, aus dem der saal besteht, hat sich geändert. Das material hat durch vierzig jahre immer gute musik eingesogen und wurde mit den klängen unserer philharmoniker und den stimmen unserer sänger imprägniert. Das sind mysteriöse molekularveränderungen, die wir bisher nur am holze der geige beobachten konnten.
Um einen raum akustisch zu machen, muß man also darin musik machen? Nein, das genügt nicht. Gute musik muß man drinnen machen. Denn die seelen der menschen kann man wohl betrügen, aber nicht die seele des materials. Säle, in denen man bisher nur blechmusik gespielt hat, bleiben ewig unakustisch. Aber, so fein empfindlich ist die seele des materiales: man lasse durch acht tage eine militärmusik im Bösendorfersaal schmettern, und die berühmte akustik des raumes ist sofort beim teufel. Wie
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/322&oldid=- (Version vom 1.8.2018)