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ein untätowiertes antlitz schöner als ein tätowiertes, und wenn die tätowierung von Michelangelo oder Kolo Moser selbst herrühren sollte. Und der mensch des neunzehnten jahrhunderts will nicht nur sein antlitz, sondern auch seinen koffer, sein kleid, seinen hausrat, seine häuser vor den künstlich erzeugten neuen papuas geschützt wissen. Die gotik? Wir stehen höher als die menschen der gotik. Die renaissance? Wir stehn höher. Wir sind feiner und edler geworden. Uns fehlen die robusten nerven, die dazu gehören, um aus einem elfenbeinhumpen zu trinken, in den eine amazonenschlacht eingeschnitten ist. Alte techniken sind uns verloren gegangen? Gott sei dank! Wir haben dafür die sphärenklänge Beethovens eingetauscht. Unsere tempel sind nicht mehr wie der Parthenon blau, rot, grün und weiß angestrichen. Nein, wir haben gelernt, die schönheit des nackten steines zu empfinden.

Aber es war – ich sagte es schon – damals niemand da, und die feinde unserer kultur und die lobredner alter kulturen hatten leichtes spiel. Sie befanden sich überdies in einem irrtum. Sie mißverstanden die vergangenen epochen. Da nämlich nur jene gegenstände aufbewahrt wurden, die sich dank ihrer zwecklosen ornamentik wenig zum gebrauch eigneten und daher nicht aufgebraucht wurden, kamen nur die ornamentierten dinge auf uns, und da nahm man an, daß es früher nur ornamentierte dinge gegeben hätte. Außerdem waren die dinge durch ihre ornamente leicht nach alter und herkunft zu bestimmen, und das katalogisieren war eine der erbaulichsten vergnügungen jener gottverdammten zeit.

Da konnte aber der handwerker nicht mit. Er sollte nämlich alles, was durch jahrtausende bei allen völkern

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/307&oldid=- (Version vom 1.8.2018)