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AUFRUF AN DIE WIENER
Geschrieben am Todestage Luegers
(1910)


Mit Lueger wird der schutzherr der karlskirche zu grabe getragen.

In ihm lebte die idee Karls VI., der mit der kirche einer großen, breiten avenue, die sich vom schottentor über den josefsplatz nach der wieden erstrecken sollte, einen abschluß geben wollte.

Der bau der ringstraße hat diese idee vereitelt.

Anlage und stellung der kirche, ihre – nicht durch den grundriß gerechtfertigte – frontale ausdehnung, die zu dem ernüchternden innenraum im stärksten gegensatze steht, zeigen uns deutlich, daß ein straßenabschluß geschaffen werden sollte, zu dem das gotteshaus nur als vorwand diente.

Die alte grundidee war nicht mehr durchzuführen. Wir haben zu allerletzt ein recht, den erbauern der ringstraße einen vorwurf zu machen. Wir selbst haben ja zum beispiel das alte projekt Maria Theresias, die durch die anlage von gebäudekeulen den enkeln gelegenheit geben wollte, die praterstraße in das herz der inneren stadt zu führen, fallen gelassen.

Lueger und mit ihm die einsichtigen wollten der karlskirche geben, was ihr gebührt, was sie braucht.

Die karlskirche braucht zu ihrer fassung große horizontale flächen und linien. Die kann nur ein öffentliches gebäude schaffen. Die wiener aber meinen, daß das öffentliche gebäude vor die stadt gehört.

Man hat wohl nur aus versehen die hofmuseen nicht

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/292&oldid=- (Version vom 1.8.2018)