Es tut mir leid, nicht immer loben zu können. Ich bin genötigt, hie und da ein wort des tadels zu sagen. Aus den vielen zuschriften, die ich erhalte, ersehe ich, daß man mir das verübelt. Das wiener gewerbe ist es freilich nicht gewöhnt, ernsthaft kritisiert zu werden. Sehr zu seinem schaden. Die vielen hurra-artikel, mit denen so oft die ausstellungen begrüßt werden, haben wie treibhauswärme erschlaffend auf das handwerk gewirkt, und von einem leisen luftzug fürchtet man schon, daß das verwöhnte schoßkind einen schnupfen davontragen könnte. Wenn ich davon überzeugt wäre, würde ich das blasen sein lassen. Ich glaube aber, daß das kind von gesunden eltern ist und daß es das bißchen zug sehr wohl vertragen kann. Auch wird er ihm zur abhärtung sehr dienlich sein.
Viele meiner gedanken werden befremden erregen. Ich betrachte eben die ausstellung nicht vom wienerischen, sondern vom ausländischen standpunkte. Mit absicht. Denn ich schreibe ausdrücklich im hinblicke auf die pariser ausstellung. Ich will die wiener gewerbetreibenden auf jene produkte aufmerksam machen, die bei ihnen so selbstverständlich sind, daß sie es gar nicht für der mühe wert halten, sie auszustellen, die aber in der ganzen welt für unübertrefflich gelten. Zugleich sollen aber die wiener davor gewarnt werden, jene erzeugnisse, die im auslande besser gemacht werden, in Paris zu exponieren.
Ja, wissen denn die gewerbetreibenden nicht selbst, was sie am besten machen? O nein. Gerade so wenig, wie es der dichter, der maler, der künstler überhaupt,
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/25&oldid=- (Version vom 1.8.2018)