Es war einmal ein sattlermeister. Ein tüchtiger, guter meister. Der machte sättel, die so geformt waren, daß sie mit sätteln früherer jahrhunderte nichts gemein hatten. Auch nicht mit türkischen oder japanischen. Also moderne sättel. Er aber wußte das nicht. Er wußte nur, daß er sättel machte. So gut, wie er konnte.
Da kam in die stadt eine merkwürdige bewegung. Man nannte sie Secession. Die verlangte, daß man nur moderne gebrauchsgegenstände erzeuge.
Als der sattlermeister das hörte, nahm er einen seiner besten sättel und ging damit zu einem der führer der Secession.
Und sagte zu ihm: „Herr professor“ – denn das war der mann, da die führer dieser bewegung sofort zu professoren gemacht wurden – „herr professor! Ich habe von ihren forderungen gehört. Auch ich bin ein moderner mensch. Auch ich möchte modern arbeiten. Sagen sie mir: ist dieser sattel modern?“
Der professor besah den sattel und hielt dem meister einen langen vortrag, aus dem er immer nur die worte „kunst im handwerk“, „individualität“, „moderne“, „Hermann Bahr“, „Ruskin“, „angewandte kunst“ etc. etc. heraushörte. Das fazit aber war: nein, das ist kein moderner sattel.
Ganz beschämt ging der meister davon. Und dachte nach, arbeitete und dachte wieder. Aber so sehr er sich anstrengte, den hohen forderungen des professors nachzukommen, er brachte immer wieder seinen alten sattel heraus.
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/218&oldid=- (Version vom 1.8.2018)