Seite:Loos Sämtliche Schriften.pdf/217

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

städter, sie würden behandelt werden wie die neger in Amerika. Ich habe gesehen, wie man einem bauern in lederhosen den kaffee in einem kaffeehause verweigert hat.

Der mensch, der abendländische kultur besitzt, ist imstande, sich sofort jener kultur, die einem bestimmten terrain, einer bestimmten tätigkeit und einem bestimmten klima entspricht, anzupassen. Jeder wiener kann genagelte schuhe, eine kniefreie lederhose und eine lodenjoppe anziehen, wenn er in die berge geht. Aber der gebirgler kann keinen gehrock und zylinder tragen, wenn er sich in die stadt begibt. Wohlgemerkt, wenn er sich in die stadt begibt. Denn es werden genug witzbolde auftreten, die mir in die schuhe schieben werden, daß ich vom bauer verlange, er möge in lack, claque und frack sein feld bestellen.

Der bauer wird nicht ernst genommen. Sonst könnte es nicht geschehen, daß es leute gibt, die für die beibehaltung der alten tracht eintreten. Aber gerade so wie „charity at home“ beginnt, gerade so darf man verlangen, daß jene leute solche ästhetische versuche an sich selbst anstellen. Sie mögen nur damit anfangen. Aber darauf zu dringen, daß achtzig prozent der einwohner Österreichs weiter als menschen zweiten ranges gelten mögen, ist unfair. Nie habe ich von abendländisch gekleideten juden die forderung gehört, die juden in Galizien mögen den kaftan beibehalten.

Mir hat einmal einer gesagt, daß ein mensch, der aus der lederhose nicht heraus kann, leichter zu regieren sei als einer, der den salonrock mit der lederhose zu vertauschen versteht. Ich verneine das.

Empfohlene Zitierweise:
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/217&oldid=- (Version vom 1.8.2018)