Ja, sagte sie, dieses kleid ist auch aus Wien, es ist von Drecoll.
Als wir ankamen, war die trauergesellschaft schon versammelt. Auch onkel Ben hätte ich nicht erkannt. Den zylinder mit hohem flor umgeben, der vornehme gehrock und eine enge hose, die ich allerdings zum unterschied von meiner breiten (es war im jahre 1893) für unmodern hielt. Später erst wußte ich, daß er nicht „noch“, sondern „schon“ eine enge hose trug. Aber damals war es gut, daß ich es nicht wußte. Denn an diese enge hose klammerte ich mich. Sonst wäre mein europäerstolz vollständig zusammengebrochen.
Wenn man bei uns mit der eisenbahn eine stunde lang fährt, dann eine stunde geht und in ein bauernhaus eintritt, so trifft man menschen, die uns fremder sind als leute, die tausende von meilen über dem meere wohnen. Keine zusammenhänge haben wir mit ihnen. Wir wollen ihnen etwas angenehmes sagen; sie halten es für eine frozzelei. Wir sagen etwas derbes, unpassendes und werden mit einem dankbaren lächeln belohnt. Sie ziehen sich anders an, essen speisen, die auf uns den eindruck machen, als stammten sie aus dem chinesischen restaurant einer weltausstellung, und feiern ihre feste in einer weise, die unsere neugierde in derselben art befriedigt wie ein umzug der singhalesen.
Dieser zustand ist unwürdig. Millionen sind in Österreich ausgeschlossen von den segnungen der kultur. Wenn unsere landbewohner plötzlich insgesamt dieselben gesellschaftlichen rechte beanspruchen würden wie die
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/216&oldid=- (Version vom 1.8.2018)