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an. „Wie, sie wagen es noch, in unsere redaktion zu kommen?“ herrschte er mich an. Ich übersah sofort die situation. Der mann hatte offenbar das abendblatt der „New Yorker staatszeitung“ noch nicht gelesen. Ich lächelte daher überlegen und sagte: „Ich glaubte nicht daß wir der ‚morgenposaune‘ irgendwelche rücksichten schuldig wären!“

„Was geht uns dieses schundblatt an! Uns haben sie blamiert!“

„Wie? Sollten sie wirklich der einzige sein, der die tiefe satire nicht verstanden hat? Sie scheinen nicht zu wissen, daß gerade die satire mein fach ist. Na, da hat die ‚staatszeitung‘ die sache doch schneller aufgefaßt.“

Er las. Man erspare mir, zu schildern, wie sehr der mann sich schämte.

Am nächsten morgen las man in der „morgenposaune“: „Unser musikreferent ist von seinem posten zurückgetreten.“

Am übernächsten morgen erhielt ich einen schweren brief. Ich öffnete ihn erwartungsvoll. Er enthielt die mitteilung, daß die New Yorker music critic-association mich zu ihrem ehrenmitgliede ernannt hatte.

Und so hatte ich mit dieser meiner ersten und letzten musikkritik eine erfahrung gemacht, die der philosoph, der literarhistoriker oder kunstgeschichtler niemals machen können. Denen glücken die fachausdrücke immer, sobald sie über malerei, architektur oder gewerbe schreiben. Niemand wird es dem kunstschriftsteller nachrechnen, ob das „sprengwerk“ vielleicht ein „hängewerk“ ist. Materialgerecht, tischlerisch, verzapfung, gehrung und ähnliche werkstattworte kann er ganz nach freiem ermessen über sein referat austeilen. Er kann ruhig behaupten,

Empfohlene Zitierweise:
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/199&oldid=- (Version vom 1.8.2018)