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Die engländer aber lachen über die schönheitsdurstigen deutschen. Die Venus von Medici, das Pantheon, ein bild von Botticelli, ein lied von Burns, ja, das ist schön! Aber eine hose!? Oder, ob das jaquett drei oder vier knöpfe besitzt!? Oder, ob die weste hoch oder tief ausgeschnitten ist!? Ich weiß nicht, mir wird immer angst und bang, wenn ich über die schönheit solcher sachen diskutieren höre. Ich werde nervös, wenn ich schadenfroh im hinblicke auf ein kleidungsstück gefragt werde: „Ist das vielleicht schön?“

Die deutschen aus der besten gesellschaft halten es mit den engländern. Sie sind zufrieden, wenn sie gut angezogen sind. Auf schönheit wird verzichtet. Der große dichter, der große maler, der große architekt kleiden sich wie die engländer. Der dichterling, der malermeister und der künstlerarchitekt aber machen aus ihren körpern altäre, auf denen der schönheit in form von samtkrägen, ästhetischen hosenstoffen und secessionistischen krawatten geopfert werden soll.

Gut angezogen sein, was heißt das? Es heißt: korrekt angezogen sein.

Korrekt angezogen sein! Mir ist, als hätte ich mit diesen worten das geheimnis gelüftet, mit dem unsere kleidermode bisher umgeben war. Mit worten wie schön, schick, elegant, fesch und forsch wollte man der mode beikommen. Darum handelt es sich aber gar nicht. Es handelt sich darum, so angezogen zu sein, daß man am wenigsten auffällt. Ein roter frack fällt im ballsaale auf. Folglich ist der rote frack im ballsaale unmodern. Ein zylinder fällt auf dem eise auf. Folglich ist er auf dem eise unmodern. Alles auffallen gilt in der guten gesellschaft für unfein.

Empfohlene Zitierweise:
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)