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abendland strömte. Fast scheint es, als hätte uns Asien gegenwärtig den letzten rest seiner ureigenen kraft gegeben. Denn schon mußten wir in den entferntesten osten zurückgreifen, nach Japan und Polynesien, und nun sind wir zu ende. Wie gut hatte es das mittelalter! Da lag der orient noch unverbraucht da, und ein spaziergang nach Spanien oder in das heilige land genügte, um dem abendlande neue formenwelten zu erschließen. Der romanische stil wurde durch die arabischen anregungen zum gotischen. Die meister der renaissance hatten schon weiter zu reisen. Persien und Indien wurden durch sie für uns gewonnen. Man erinnere sich der persischen teppiche, ohne die es kein madonnenbildnis aus dieser zeit gibt, der deutschen intarsien und tauschierarbeiten. Das rokoko mußte schon nach China gehen, während uns nur noch Japan übrig blieb.

Was ist nun das japanische unserer kunstanschauung? „Sie tragen ein reizendes kleid, gnädige frau. Aber was seh ich? Der eine ärmel hat eine masche, während der andere keine aufweist. Das ist japanisch. Sie haben einen reizenden blumenstrauß in ihrer vase. Lauter langstielige blumen: rosen, lilien, chrysanthemen. Auch das ist japanisch. Wenn wir nie unsere blicke nach Japan gerichtet hätten, würden wir dieses arrangement unerträglich finden. Fragen sie nur das bauernmädchen auf dem Semmering. Das kennt Japan noch nicht. Daher bindet es seine blumen auch unjapanisch. In der mitte eine recht große und dann die anderen immer im kreise herum. Das findet es schön.“

Japanisch ist also in erster linie das aufgeben der symmetrie. Dazu kommt die entkörperlichung der darzustellenden gegenstände. Die japaner stellen blumen dar,

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/167&oldid=- (Version vom 1.8.2018)