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haben es versucht, uns diese zeit zu verleiden. Stets sollten wir rückwärts schauen, stets uns eine andere zeit zum vorbild nehmen. Wie ein alp ist es von mir gewichen. Jawohl, unsere zeit ist schön, so schön, daß ich in keiner anderen leben wollte. Unsere zeit kleidet sich schön, so schön, daß ich, wenn ich die wahl hätte, mir das gewand irgend einer zeit auszuwählen, freudig nach meinem eigenen gewande griffe. Es ist eine lust zu leben.

Inmitten der allgemeinen handwerklichen charakterlosigkeit muß man es den erwähnten beiden zweigen des österreichischen kunstgewerbes als hohes verdienst anrechnen, daß sie rückgrat genug besaßen, sich der allgemeinen zeitverleugnung nicht anzuschließen. Ehre aber auch den wienern, die diese beiden zweige, allen kunstgewerblichen reformen zum trotz, durch ihre kauflust unterstützten. Heute können wir es getrost aussprechen: Nur die ledergalanteriefabrikation und die gold- und silberindustrie verschaffen dem österreichischen kunstgewerbe auf dem weltmarkte geltung.


Die industriellen dieser branchen haben eben nicht erst gewartet, bis der staat durch einführung englischer vorbilder der allgemeinen stagnation ein ende bereitet, was sich jetzt in der möbelindustrie als notwendig herausstellt, sondern haben schon vor fünfzig jahren an den englischen ideen neue kräfte gesammelt. Denn englisch ist diese industrie von a bis z. Und trotzdem macht sich kein niedergang, wie ihn die schwarzseher der möbelbranche prophezeien wollen, bemerkbar. „England ist der ruin des kunstgewerbes.“ Sie sagen kunstgewerbe und meinen das akanthusornament. Dann ists wohl wahr. Aber unsere zeit legt mehr gewicht auf richtige form, auf solides material, auf exakte durchführung. Das ist kunstgewerbe!

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)