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durch ein leinwandhemd ersetzt wird. Man begann mit den füßen. In diesem punkte sind wir nun auch nachgekommen. Auch wir tragen keine fußlappen mehr, sondern strümpfe. Aber wir tragen noch leinwandunterhosen, einen artikel, der in England und Amerika schon ausgestorben ist.

Wenn ein mann aus den Balkanstaaten, wo man noch immer fußlappen trägt, nach Wien käme und eine wäschehandlung aufsuchte, um seine landesübliche fußbekleidung zu kaufen, würde ihm die für ihn unfaßbare mitteilung gemacht werden, daß man fußlappen nicht zu kaufen bekommt. Auf bestellung könne er sie allerdings haben. „Ja, was tragen denn die menschen hier?“ – „Fußsocken.“ – „Fußsocken? Das ist ja sehr unbequem. Und im sommer zu heiß. Trägt denn niemand mehr fußlappen?“ – „O ja, die ganz alten leute. Aber die jungen finden fußlappen unbequem.“ Der gute mann aus den Balkanstaaten entschließt sich also schweren herzens, einen versuch mit den socken zu machen. Damit hat er eine neue staffel der menschlichen kultur erreicht.

Philippopel verhält sich zu Wien wie Wien zu New York. Versuchen wir dort daher – nicht fußlappen, man würde uns gar nicht verstehen – sondern leinwandunterhosen einzukaufen. Ich muß den leser schon bitten, das vorhergehende gespräch noch einmal zu lesen und dafür die worte „mann aus den Balkanstaaten“ in „wiener“ und „fußlappen“ in „leinwandunterhosen“ umzuwandeln. Denn genau so würde sich das gespräch abwickeln. Ich spreche aus eigener erfahrung. Man hat so das originalgespräch gewonnen, das durch die fußlappen nur für wiener verhältnisse verständlich gemacht wurde.

Wer die gewebten stoffe bequemer findet als die gewirkten,

Empfohlene Zitierweise:
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/116&oldid=- (Version vom 1.8.2018)